Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Sog der Gefahr

Im Sog der Gefahr

Titel: Im Sog der Gefahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Anderson
Vom Netzwerk:
gab zwar geheime Pfade, aber in dieser Nacht hatte er das Bedürfnis, die Straße zu benutzen. Fünf Minuten später gelangte er zu einem wuchtigen, zweistöckigen Holzhaus, dessen Dach mit Zedernholzschindeln gedeckt war.
    Ein Haus, wie es sich ein Exknacki eigentlich nicht leisten konnte.
    Jedenfalls kein gesetzestreuer Exknacki.
    Ein unbehaglicher Schauer lief ihm über den Rücken.
    Die Einfahrt war glatt und gekiest, nicht zugewuchert und voller Schlaglöcher, wie sie es in seiner Kindheit gewesen war. Der alte Schuppen war vor Jahren abgebrannt – eine Feuerbestattung für seine Kindheitserinnerungen. Während er die Auffahrt hinaufging, ignorierte er die aufsteigende Abscheu und das Bombardement an Bildern, die auf ihn einprasselten. Das alles war jetzt Geschichte.
    Auf dem ganzen Grundstück brannte kein Licht, vielleicht war Brent gar nicht zu Hause.
    Auf der Suche nach einem Anzeichen von Bewegung ging er zwischen den Bäumen hindurch um das Haus herum. Etwas Rotes glomm auf der Veranda, die dem Pazifik mutig die Stirn bot.
    Genauso bot auch sein Bruder jeder Herausforderung in seinem unruhigen, zornerfüllten Leben die Stirn.
    Finn löste sich aus dem Schatten der Bäume und trat vor die unterste Verandastufe. Für eine Sekunde leuchtete das rote Licht heller auf. Eine Zigarette.
    »Dachte mir, dass du früher oder später hier auftauchen würdest.«
    Zwei Jahre später, um genau zu sein. Seit Finn aus dem Militär ausgeschieden war, hatten sie noch nicht miteinander gesprochen. Am Tag von Brents Entlassung hatten Finn und Thom ihn aus dem Gefängnis abgeholt, um ihn nach Hause zu bringen, aber er hatte nichts mit ihnen zu tun haben wollen. Seitdem hatte Finn einige Male versucht, mit ihm zu reden, war aber stets zurückgewiesen worden. Sie waren auf einer Stufe angelangt, auf der jeder weitere Versuch, ihre zerrüttete Beziehung zu reparieren, einfach zu schmerzhaft gewesen wäre. Selbst wenn er gewusst hätte, wie er es anstellen sollte.
    »Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen?«
    Ein harsches Lachen zerriss die Schatten. »Großartig, Finn. Ganz toll. Wie war’s in der Army? Jemanden umgebracht?«
    Zorn köchelte zu dicht unter der Oberfläche. »Ich habe getan, was ich tun musste.«
    »Was man dir befohlen hat.« Die Stimme seines Bruders war von Bitterkeit durchdrungen.
    »Wir
beide
haben getan, was wir tun mussten.«
    Ein Stuhl schabte über die Veranda, als sein Bruder aufstand. »Ist das deine Art, mir zu vergeben? Ich brauch deine Scheißvergebung nicht.«
    »Ich dir
vergeben
? Du hast mich
gerettet

    Ihr Vater hatte Finn mit einer Eisenstange bewusstlos geprügelt. Er wäre gestorben, wenn Brent nicht gewesen wäre. Schlimmer noch: Weil Finn während der Tat größtenteils bewusstlos gewesen war, hatte der Staatsanwalt in Brents Verhandlung genügend Zweifel bei den Geschworenen gesät, um ihnen nahezulegen, dass Brent auch für Finns Verletzungen verantwortlich gewesen sein könnte. Aber Finn wusste sehr genau, wer ihm das angetan hatte, und jedes Mal, wenn er seinen Bruder sah, machten sich Schuldgefühle in seiner Brust breit. Meistens drohten sie ihn zu ersticken.
    In der Nähe schlugen Wellen an den Strand – das Geräusch brachte so viele Kindheitserinnerungen mit sich, dass ihm der Atem stockte. »Du warst es doch, der nicht wollte, dass ich dich im Gefängnis besuche. Du warst es, der mich ausgeschlossen hat!« Schwer atmend stand Finn da. Sie waren erst dreißig Sekunden zusammen, und schon hatten sie sich alles gesagt.
    »Ich hätte ihn einfach weiter auf dich einprügeln lassen sollen, du schmächtiger kleiner Scheißer.« Hasserfüllt zog sich das rote Glimmen in den Schatten zurück.
    »Vielleicht hättest du das.« Er war kein schmächtiger kleiner Scheißer mehr.
    »Hau bloß ab! Ich will dich hier nicht sehen. Mein halbes gottverdammtes Leben habe ich dich nicht gesehen, und jetzt tauchst du hier auf wie der verlorene Sohn? Verschwinde gefälligst von meinem Grundstück!«
    Im Laufe der Jahre hatte Brent ihm mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass er nichts mehr mit seinem Bruder zu tun haben wollte, aber diesmal würde er nicht davonlaufen. »Unser Grundstück«, erinnerte Finn ihn grimmig. Nicht, dass er es hätte haben wollen. Das hatte Brent sich in all den Jahren mehr als verdient. »Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu streiten. Es tut mir leid, dass ich dir dein Leben versaut habe.«
    Eine lange, angespannte Stille entstand, während die gemeinsamen

Weitere Kostenlose Bücher