Im Sog der Gefahr
wichtig.
Das Einzige, was zählte, war, sie vom Meeresinstitut und – noch wichtiger – von Thom fernzuhalten. Ihre frappierende Ähnlichkeit mit Bianca war ein unberechenbarer Faktor, der dem alten Mann nicht guttat, denn er entfachte eine alte Hoffnung, die so gut wie erloschen gewesen war.
»Wracktauchen kann süchtig machen. Glauben Sie, dass es Sie erwischt hat?« Gemächlich ließ er den Blick über ihren Körper wandern; lange Beine, straffe Taille, ein hübscher, runder Hintern, der gut in seinen Händen liegen würde, wenn er …
Ho!
In diese Richtung sollten seine Gedanken nicht abdriften.
»Es hat Spaß gemacht.« Sie lehnte sich ans Geländer, ohne die Schultern einzuziehen oder sich zu verstecken, aber auch, ohne sich einladend zu präsentieren. »Ich kann verstehen, was die Leute daran reizt.«
In der Hoffnung, seine Fantasien damit abzukühlen, kippte er einen großen Schluck Bier hinunter. »Um ehrlich zu sein, war ich heute Morgen wirklich beeindruckt. Ich tauche lieber mit einem Anfänger, der Mumm in den Knochen hat, als mit einem noch so erfahrenen Taucher ohne Rückgrat.«
»Versuchen Sie, mir ein Kompliment zu machen, Mr Carver?«
»Vielleicht will ich Sie ja nur ins Bett kriegen.«
Sie lachte, wandte dabei aber den Blick ab. »Dazu wird es nie kommen. Das müssen Sie wohl in Ihrer Fantasie ausleben. Ich bin Polizistin, und Sie sind Gegenstand dieser Ermittlung.«
»Ist das der einzige Grund?« Seine Frage klang schroff.
Sie gab keine Antwort. Trotz der kühlen Nachtluft um sie herum nahm er die Kälte nicht wahr.
»Bin ich ein Verdächtiger?«
»Wie ich Ihnen vorhin schon gesagt habe, ist jeder verdächtig. Haben Sie etwas über das Schiff herausgefunden? Wie es hieß oder wie lange es schon dort unten liegt? Was seine Fracht gewesen sein könnte?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Küstenwache könnte es wahrscheinlich innerhalb von fünf Minuten in Erfahrung bringen, aber ich habe nichts herausgefunden.«
»Also haben Sie nachgeforscht?«
»Ich habe in der hiesigen Bibliothek Onlinedatenbanken durchsucht, einen Haufen Karten überprüft und ein paar historische Quellen zurate gezogen. Ich habe
nicht
herumgefragt.«
Sie verzog das Gesicht. Das wäre ihre nächste Frage gewesen.
Er würde ihr nicht erzählen, dass Gina gesehen haben könnte, womit er sich beschäftigt hatte. Nie im Leben könnte eine so zarte Frau wie Gina einen Kerl mit einem riesigen Tauchmesser aufspießen. Wenn sie irgendjemanden hätte ermorden wollen, dann seinen Bruder, und das schon vor Jahren.
»Haben Sie Teile der Ausrüstung wiedererkannt, die der Tote trägt?«
Finn setzte die Bierflasche an und trank noch einen eiskalten Schluck. »Nein.«
Sie beobachtete ihn scharf. »Könnte diese Ausrüstung vom Forschungszentrum stammen?«
»Sicher.« Finn zuckte die Schultern. »Allerdings fehlen seine Druckluftflaschen, und die hätte ich am ehesten wiedererkennen können.« Was Flaschen und Regler anging, war er besonders sorgfältig, bei allem anderen nicht so sehr. »Ich kann morgen Inventur machen, wenn Sie möchten. Aber wir haben eine Menge Ausrüstungen und Zubehör und eine Sammelstelle für Fundsachen, in der sich die Leute bedienen. Den Bleigurt habe ich nicht wiedererkannt, aber den Anzug hätte ich wohl zu Flicken verarbeitet.«
»Was ist mit dem Messer?«
»Sah aus wie tausend andere Tauchmesser.« Er stand auf und trat einen Schritt auf sie zu. »In welcher Verfassung war Thom, als Sie gegangen sind?«
Vorsichtig verfolgte sie seine Bewegungen mit den Augen. »Aufgewühlt.«
»Hat er Sie gebeten, die Ermittlungen zum Mord an seiner Frau wiederaufzunehmen?«
Sie nickte und biss sich auf die Lippe.
»Dachte ich mir.« Die Stille zog sich einige Augenblicke hin. »Er wird drüber hinwegkommen. Glauben Sie mir, er ist Enttäuschungen gewohnt.«
»Der Professor hat mir erzählt, Sie seien nach dem Tod Ihres Vaters bei ihm eingezogen. Wann war das?«
Zwischen ihnen knisterte die Spannung. Sein Blick blieb an ihrer prallen, vollen Unterlippe hängen, und er konnte ihn nicht mehr abwenden. »Gehört das zur Ermittlung, oder ist das privat?«
Sie straffte die Schultern. »Hier gibt es kein
privat
, Mr Carver.«
Er lehnte sich neben Holly ans Geländer, ohne sie zu berühren, aber doch so nah, dass es jeden aus der Ruhe bringen musste, der nur einen Funken Verstand im Leib hatte. Bei Holly feuerten sämtliche Neuronen, als sie sich schwungvoll zu ihm umwandte. »Wann ist Ihr Vater
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