Im Sog der Gefahr
gestorben?«
Ein alter, vertrauter Zorn schnürte ihm die Brust zu. »1989. Ich war dreizehn.«
Interessiert studierte sie sein Gesicht. Er bildete sich nicht ein, dass sie so fasziniert von ihm war. »Sie müssen ihn vermissen.«
»Ich hab den Scheißkerl gehasst.«
Sie zog die Brauen zusammen.
»Nicht alle haben das Glück, in einer glücklichen Familie aufzuwachsen, Holly.« Er hatte die Hand zur Faust geballt. »Sie sollten dankbar sein.«
»Das bin ich.«
»Haben Sie Geschwister?« Er wollte mehr über sie erfahren. Wollte herausfinden, was sie antrieb. Wollte sie verwirren.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Einzelkind.« Mit herabgezogenen Mundwinkeln blickte sie in den Nachthimmel hinauf. »Von liebevollen Eltern komplett verzogen. Mein Vater ist auch Polizist. Vor fast zwei Jahren ist meine Mutter gestorben.« Als sie von ihrer Mutter sprach, wirkte sie ein wenig verloren.
»Sie vermissen sie.«
Sie nickte. Dann sah sie verärgert aus, als hätte sie gar nicht vorgehabt, ihm etwas von sich zu erzählen. Er nahm noch einen Schluck Bier, um zu verhindern, dass er etwas Dummes tat – zum Beispiel herauszufinden, wie ihre volle Unterlippe schmeckte.
Sie wechselte das Thema. »War der Professor schon immer so …«
»… durcheinander?« Finn nickte. »Seit er seine Frau und sein Kind mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden hat, bewegt er sich am äußersten Rand der Zurechnungsfähigkeit. Das Einzige, was ihn aufrecht hält, sind seine Forschung, die Suche nach dem Mörder und die Hoffnung, vielleicht herauszufinden, was aus seiner kleinen Tochter geworden ist.« Sein Blick glitt über ihr Gesicht. »Sie sehen wirklich wie Bianca Edgefield aus, wissen Sie?«
»Kannten Sie sie?«
»Als sie ermordet wurde, war ich erst sechs, aber sie war eine von den Frauen, die immer viel Aufhebens um uns Kinder gemacht hat – sie kaufte uns tütenweise Süßigkeiten und fuhr uns durch die Haare.«
Er hatte sie gemocht. Alle anderen hatten ihn behandelt, als wäre er dumm gewesen. Thom hatte dem ein Ende gemacht.
»Was hat Ihre Mutter von ihr gehalten?«
»Meine Mutter?« Eine ihrer Haarsträhnen hatte sich im Wind gelöst. Vorsichtig strich er sie hinter ihr Ohr. Sie hielt still, obwohl sie zu erwägen schien, ihm die Eier mit einem Nagelknipser zu entfernen. »Meine Mutter war nicht da.«
»Wo war sie denn?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie hat das Weite gesucht, als ich klein war, und ist nie zurückgekommen.«
Fast konnte er sehen, wie sie ihrer geistigen To-do-Liste einen weiteren Punkt hinzufügte. Glaubte sie, seine Mutter sei in Wahrheit gar nicht vor ihrem miesen Alkie-Schwein von Ehemann weggelaufen und hätte ihre Kinder nicht seiner nicht vorhandenen Gnade ausgeliefert? »Nach ein paar Wochen hat sie eine Postkarte geschickt. Abgestempelt in Florida.«
Holly nickte zwar, aber er wusste, dass sie es trotzdem überprüfen würde. Konnte ihm egal sein.
»Haben Sie letzte Nacht auf dem Weg zu Ihrem Tauchplatz jemanden gesehen?«
»Nö.«
»Haben Sie jemandem gesagt, wohin Sie wollten?«
»Nein.« Er runzelte die Stirn. »Aber ich habe unsere Koordinaten in den Tauchplan eingetragen, für den Fall, dass wir nicht mehr zurückkommen. Das ist der normale Ablauf.«
»Und beim ersten Mal haben Sie sie auch aufgeschrieben?«
»Sicher. Es gab eine Seeotter-Sichtung, was in dieser Bucht ungewöhnlich ist. Wir haben die Meldung überprüft, aber nichts gefunden. Damit die Fahrt nicht völlig umsonst war, haben wir uns spontan zu einem kurzen Tauchgang entschlossen.«
»Keine Oberflächencrew?«
»Beide Male keine Oberflächencrew. Es war Thomas sehr wichtig, dass das Wrack geheim bleibt. Nachts sind Nacktkeimer aktiver – daher der nächtliche Tauchgang.« Würde sie ihn doch nur so eingehend betrachten, weil sie scharf auf
ihn
war, nicht nur darauf, ihn bei einer Lüge zu ertappen. Hitze breitete sich in seinem Körper aus. Seine Muskeln spannten sich unter der unwillkommenen Anziehungskraft zwischen ihnen an.
Im Meeresinstitut gingen jede Menge gut aussehender Frauen ein und aus, aber er hielt nichts davon, seine Autorität zu missbrauchen. Allerdings hätte er ganz und gar nichts dagegen, wenn Holly ihre missbrauchen würde. Er wollte sie. Aber er musste sie zu sich und den anderen auf Abstand halten. Auf großem Abstand.
»Haben Sie eine Idee, wer das Opfer sein könnte?«
Die Arme vor der Brust verschränkt, schüttelte er den Kopf.
»Gut. Vielen Dank für die Auskünfte.« Sie wandte
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