Im Sog der Sinnlichkeit
einem Kleidungsstück über dem Arm. „Ich dachte, das könnte Ihnen von Nutzen sein.“
„Was?“, fragte er gereizt.
„Eine Mönchskutte. Ich fand sie unter Master Brandons Sachen und nahm sie an mich in der Hoffnung, ihn von seinen augenblicklichen Aktivitäten abhalten zu können. Leider vergeblich.“
Am liebsten hätte Benedick den alten Mann umarmt, stattdessen griff er nach der Kutte und warf sie sich über den Arm. „Ich muss los“, knurrte er.
„Dann geh endlich!“ Miranda wies zur Tür. „Lucien und ich folgen dir, sobald unser Wagen vorgefahren ist. Und wir bekommen gewiss Verstärkung von einigen seiner zwielichtigen Bekannten.“ Sie wandte sich an ihren Gemahl. „Weißt du, wo Kersley Hall liegt, Liebster?“
„Ungefähr. Wir finden es“, sagte er. „Wann soll dieses Ritual stattfinden?“, fragte er seinen Schwager.
„Um Mitternacht. Und denke nicht einmal daran, Miranda mitzunehmen. Sie erwartet ein Kind, Herrgott noch mal!“
„Du kennst sie doch“, entgegnete Lucien. „Glaubst du tatsächlich, ich könnte sie zwingen, im Haus zu bleiben?“
„Du bist ein schrecklicher Mensch, Skorpion.“
„Schweig! Deine eigensinnige Schwester reicht mir.“
Benedick ignorierte ihn und wandte sich wieder an Miranda. „Jemand muss bei Brandon bleiben. Trudy muss irgendwann abgelöst werden.“
„Das kann doch Mrs Cadbury übernehmen. Würden Sie uns den Gefallen tun, Mrs Cadbury? Der Doktor meinte, er wird die nächsten vierundzwanzig Stunden schlafen. Aber es wäre uns eine große Beruhigung, wenn jemand an seinem Krankenbett wacht.“
Emma Cadbury sah aus wie ein gehetztes Reh. „Ich dürfte gar nicht hier sein … Tut mir leid. Ich muss gehen. Man wird sich Sorgen machen …“
„Schicken Sie einen Boten zu Ihrem Haus, um Bescheid zu sagen. Und Lady Carstairs würde sich sicher freuen, Sie zu sehen, wenn Benedick sie wohlbehalten zurückbringt. Und das wird er tun, hab ich recht, Neddie?“
Er hatte keine andere Wahl. „Ja, bitte bleiben Sie, Mrs Cadbury. Dafür wären wir Ihnen sehr dankbar.“
Emma nickte stumm.
„Worauf wartest du noch?“, wollte Miranda voller Tatendrang wissen. „Wir sind vor Mitternacht vor Ort. Wie finden wir dich?“
Es war völlig aussichtslos, sie zu bremsen, ebenso wenig könnte er eine herannahende Flut aufhalten. „Macht ordentlich Lärm. Tut alles, um die Aufmerksamkeit dieses sogenannten Großmeisters zu erregen und ihn von seinem abscheulichen Vorhaben abzulenken. Ich nehme nicht an, dass deine Informanten herausgefunden haben, wer der Anführer des Satanischen Bundes ist?“, fragte er seinen Schwager.
Der Skorpion schüttelte den Kopf. „Ich passe gut auf meine Frau auf. Mrs Cadbury kümmert sich um Brandon. Alles andere bleibt dir überlassen.“
„Gott steh uns bei!“, murmelte Benedick.
Im Haus war Stille eingekehrt. Emma Cadbury saß alleine in der Bibliothek des Viscounts, neben sich ein Teetablett. Sie hatte eine Tasse getrunken, aber der Anblick des Gebäcks, das Melisande so sehr liebte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie schluckte tapfer dagegen an und breitete die Serviette über die Kuchenplatte.
Brandon lag ein Stockwerk höher und schlief. Lady Rochdale hatte ihr versichert, dass das Mädchen, das an seinem Bett wachte, sie holen würde, wenn er zu sich kam. Sie hatte die Adresse eines Arztes, falls sein Zustand sich verschlechtern sollte. Aber im Grunde blieb nicht mehr zu tun, als zu warten.
Als wäre die Sorge um Melisande nicht schon schlimm genug, dachte sie mutlos. Nun musste sie auch noch ihm entgegentreten. Wie sehr hatte sie sich in den letzten Monaten danach gesehnt, ihn nur noch ein einziges Mal zu sehen, seit man ihn aus ihren Armen im Hospital weggeholt hatte, was sie in ihrem Erschöpfungsschlaf nicht einmal bemerkte. Tausendmal hatte sie sich nach ihm gesehnt, aber sie hatte ihn für immer verloren und sich eingeredet, es sei das Beste für sie. Nun war sie ihm so nah, und er lag krank, elend und bewusstlos in seinem Bett.
Er würde es nicht wissen, wenn sie nach ihm sah. Der arme Junge hatte so schreckliches Grauen erlebt, er hatte jeden Lebensmut verloren und wollte sich mutwillig zerstören. Sie könnte für ihn beten, aber sie konnte nicht mehr beten. Sie stand Todesängste aus, noch schlimmere Todesängste als damals, als sie von zu Hause fortgelaufen war. Todesängste um Melisande, die sich in Gefahr gebracht hatte, Todesängste um die arme kleine Betsey, die als Blutopfer regelrecht
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