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Im Sog der Sinnlichkeit

Im Sog der Sinnlichkeit

Titel: Im Sog der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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abgeschlachtet werden sollte.
    Durfte sie sich in dieser schrecklichen Situation nicht einen kleinen Trost gönnen und Brandon Rohans schlafendes Gesicht betrachten? Nur ein allerletztes Mal.
    Sie stieg zögernd die Treppe hinauf. Draußen brach die Dämmerung herein, die Dienerschaft hatte sich zurückgezogen, auch der freundliche alte Butler, der ihr Tee gebracht hatte. Er hatte nur gesagt, sie möge läuten, wenn sie etwas brauchte.
    Stufe um Stufe stieg sie nach oben, halb in der Hoffnung, sie würde sich eines Besseren besinnen und kehrtmachen. Aber mit jeder Stufe wusste sie, dass es kein Zurück gab. Sein Zimmer lag am Ende des Korridors. Durch die geschlossene Tür fiel ein dünner Lichtstreifen. Lady Rochdale hatte gesagt, das Hausmädchen würde vor seinem Zimmer wachen. Aber der Stuhl war leer.
    Sie näherte sich, legte das Ohr an die Türfüllung und horchte. Nichts, absolute Stille. Und dann gab es einen dumpfen Schlag.
    Sie riss die Tür auf. Brandon Rohan hing an einem Haken mitten im Zimmer, der Stuhl, auf dem er gestanden hatte, war umgeworfen.
    In fliegender Hast eilte sie zu ihm, hielt ihn an den Beinen hoch, um den Druck des Lakens, das ihm die Kehle zuschnürte, zu lockern. „Du dummer, dummer Junge!“, schrie sie entsetzt. „Verflucht! Wie konntest du das tun?“
    Er versuchte, sich zu wehren, strampelte mit den Beinen, um ihre Arme abzuschütteln, die ihn mit eisernem Griff festhielten, und dann bewegte er sich nicht mehr. Voller Grauen glaubte sie, er habe sich das Genick gebrochen. Sie hob ihr tränenüberströmtes Gesicht. Brandon blickte auf sie herab mit verwunderten großen Augen. Die Schlinge lag locker um seinen Hals.
    Geistesgegenwärtig angelte sie mit dem Fuß nach dem umgestürzten Stuhl und zog ihn zu sich heran. Nach drei vergeblichen Versuchen gelang es ihr endlich, ihn aufzurichten, und sie stellte Brandons Füße darauf. Erst dann löste sie ihre Arme von ihm und zog das Messer aus der Rocktasche, das sie stets bei sich führte, stieg auf den Stuhl neben ihn und durchschnitt das Laken um seinen Hals. Und plötzlich spürte sie, wie er seine Arme um sie schlang. Er sah sie an, als sehe er einen Geist. „Meine Harpy“, flüsterte er heiser.
    Und dann sackte er vornüber.

34. KAPITEL
    J e des andere Pferd wäre auf diesem Höllenritt unter Benedick zusammengebrochen. Doch Bucephalus jagte im halsbrecherischen Galopp querfeldein, über Stock und Stein, anfangs in der zunehmenden Dämmerung und bald durch stockfinstere Nacht. Und Benedick verfluchte den aufgehenden Mond, auch wenn er den Weg mit fahlem Schein erhellte, da genau dieser Vollmond die Katastrophe heraufbeschwor.
    Am Rand des kleinen Wäldchens, wo Melisande vor wenigen Tagen die Picknickdecke ausgebreitet hatte, sprang er aus dem Sattel und tätschelte beruhigend die bebenden Flanken seines treuen Pferdes. Wie gut, dass seine Schwester und ihr Ehemann mit der Kutsche folgten, denn mit Melisande und dem kleinen Mädchen im Sattel hätte er dem Wallach den Rückweg nicht zumuten dürfen. Im Übrigen hatte Miranda eine ausgesprochen fürsorgliche Ader, solange es nicht um Benedick ging, und Melisande und Betsey brauchten Trost und Zuspruch nach dem Grauen, dem sie mit Gottes Beistand entronnen wären … So hoffte er zumindest inständig.
    Brandons Kutte passte einigermaßen, obwohl Benedick breitere Schultern hatte. Er überlegte, ob er Brandons hinkenden Gang nachahmen sollte, doch der Kerl, der seinen Bruder zu diesen Schandtaten überredet hatte, würde wissen, dass er nicht Brandon war, und vor diesem Unhold musste er sich in Acht nehmen. Er begnügte sich damit, leicht gebeugt zu gehen, und huschte durch die Nacht wie ein Geist.
    Etwa ein Dutzend Mönchsgestalten bewegten sich an den Ruinen von Kersley Hall vorbei, strebten zu seinem Erstaunen jedoch nicht dem Eingang in der alten Molkerei zu. Der langgestreckte Bau lag im Dunkeln, die Türen waren verbarrikadiert. Die Mönche begaben sich zu den Stallungen, lachten und redeten halblaut mit lallenden Stimmen; verstehen konnte er nichts. Er folgte der Prozession in sicherem Abstand in den Stall, wo die Gäste von einem Wächter empfangen wurden, der ihnen mit einer Laterne ins Gesicht leuchtete. Benedick duckte sich hinter einen Bretterverschlag. Er würde die Sicherheitskontrolle nicht passieren. Obwohl er die neuen Bestimmungen des Satanischen Bundes nicht kannte, wusste er, dass er nach Brandons letzten Verstrickungen mit der Loge dort höchst unwillkommen

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