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Im Sog der Sinnlichkeit

Im Sog der Sinnlichkeit

Titel: Im Sog der Sinnlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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aber er wird dir helfen. Nimm dir vor, eine Rolle zu spielen. Du bist eine große Schauspielerin auf der Bühne. Du bist eine andere Frau. Das alles hat nichts mit dir zu tun. Du bedienst dich lediglich deines Körpers, deiner wunderschönen Erscheinung im Dienste einer wichtigen Sache. Du lächelst, plauderst, turtelst und tanzt als eine völlig Fremde, und nichts und niemand kann dir etwas anhaben. Du selbst, dein wahres Ich bleibt völlig unversehrt.“
    „Ich schäme mich aber vor mir selbst.“
    „Unsinn. Dazu besteht nicht der geringste Grund. Wir alle müssen unsere Rollen im Leben spielen. Gab es je eine Frau, die du gerne sein wolltest? Vielleicht eine Dame der Gesellschaft, die du bewundert hast, weil sie schön und anmutig war, die alles verkörperte, was du gerne gewesen wärst?“
    „Ja.“ Melisandes Stimme klang hohl.
    „Dann versetze dich in diese Person. Benimm dich wie sie, lache wie sie, sei glücklich wie sie.“
    „Sie lebt nicht mehr“, murmelte Melisande düster.
    Emma schüttelte den Kopf. „Werde nicht trübsinnig. Sei eben so, wie sie war. Wenn du dich unsicher fühlst, rede dir ein, dass du sie bist … Wie war ihr Name?“
    „Annis.“
    Emma stutzte kurz, als sei ihr der Name vertraut, ohne zu wissen, warum. „Dann rede dir ein, du seist Annis, die sich in einer Abendgesellschaft vergnügt. Und nichts und niemand kann dir die Stimmung verderben. Tust du mir den Gefallen?“
    Melisande versuchte ein zaghaftes Lächeln.
    „Lächle strahlender, meine Liebe. Dein Lächeln muss deine Augen erreichen.“
    Sie versuchte es wieder.
    „Sehr gut. Und ich glaube, ich höre Viscount Rohan unten in der Halle. Du kannst es weiß Gott mit ihm aufnehmen. Lass dich nicht von ihm einschüchtern!“
    „Gewiss nicht“, erwiderte Melisande mit einem nervösen Lachen und zog den Seidenschal enger um ihre nackten Schultern.
    Aber sie konnte sich nicht mit ihm messen, bei Weitem nicht. Genauso wenig wie sie sich in die Rolle von Annis hineinversetzen konnte, der bezaubernd schönen jungen Frau, die Benedick Rohan vor zehn langen Jahren geheiratet hatte und die ein Jahr später im Kindsbett verstorben war.
    Aber ich kann ihn benutzen für die gute Sache, ermahnte sie sich und schwebte hocherhobenen Hauptes die Treppe hinab.
    Benedick Rohan bereute seine spontane Zusage bereits seit fünf Stunden, und als er an Carstairs House vorfuhr, war er denkbar schlechter Laune. Er war ein Narr, auf ihre haarsträubende Geschichte über das verbrecherische Treiben des Satanischen Bundes eingegangen zu sein. Seit den Gründertagen waren Gerüchte in Umlauf, die weitaus schändlicher waren als die Tatsachen. Von blutrünstigen Bräuchen, satanischen Ritualen, Schwarzen Messen, Vergewaltigung und Mord war von Anfang an die Rede gewesen, und er wusste genau, wie haltlos diese Anschuldigungen waren. Sein Großvater war ein berüchtigter Lebemann gewesen, und noch heute erzählte man sich Episoden aus den Jugendjahren seines Vaters, eines notorischen Bonvivants. Aber keiner von ihnen hätte sich je an den Schandtaten beteiligt, von denen Lady Carstairs berichtet hatte.
    Melisande, Lady Carstairs. Vermutlich hätte er ihr gar nicht zugehört, wenn er sich nicht irgendwie von ihr angezogen fühlte. Wäre sie nur eines ihrer gefallenen Mädchen und nicht deren moralinsaure Retterin – er würde sich gerne mit ihr vergnügen! Er hatte beschlossen, sich in dieser Saison keine Mätresse zu nehmen, weil sein Wunsch nach Abwechslung stärker war als der nach den Annehmlichkeiten einer ständigen Gespielin. Wäre Melisande eine Halbweltdame, hätte er seine Pläne womöglich geändert. Die Verheißung ihrer üppigen Rundungen, sittsam verborgen unter ihren abscheulich hässlichen Kleidern, reizte ihn. Er hätte gerne ihr Gesicht gesehen, wenn er sie küsste … wenn er sie in sein Bett nahm … sich in ihren Schoß versenkte.
    Er schüttelte die Gedanken ab und eilte die Steinstufen von Carstairs House hinauf. Der heftige Regen hatte nachgelassen, aber es war nicht das schlechte Wetter, das ihn zur Eile antrieb. Er wollte lediglich dieses leidige Treffen rasch hinter sich bringen, ehe er sich in letzter Sekunde doch noch eines Besseren besann. Aber er war auch kein Feigling.
    In vornehmen Häusern hielt sich stets ein Bediensteter in der Nähe des Portals auf, um zu öffnen, bevor ein Besucher den Türklopfer bediente. Dies war allerdings kein wirklich vornehmes Haus, und er pochte mit dem Spazierstock gegen die Eichenpforte

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