Im Sog der Sinnlichkeit
in gefährliche Situationen zu stürzen, einen Mann, der sie vor ihrem eigenen guten Herzen schützte. Dieser Mann war Benedick Rohan gewiss nicht!
Auch wenn Melisande sich noch so sehr wünschte, es wäre anders.
Was sie natürlich weder sich noch anderen eingestehen würde. Aber Emma war eine Frau mit großer Lebenserfahrung und las die Sehnsucht in Melisandes Augen. Sie würde jedenfalls nicht tatenlos zusehen, wie Rohan ihr das Herz brach.
Der Viscount war allerdings schwierig zu durchschauen. Er hatte zwar jegliches Interesse an Melisande geleugnet, doch wenn Emma in Betracht zog, wie viel Zeit er mit ihr verbracht hatte, war sie unschlüssig, ob sie ihm glauben sollte.
Wenigstens hatte sie ihn in seine Schranken verwiesen. Wenn er vorgehabt hatte, Melisande zu verführen, würde er nach dieser Unterredung hoffentlich die Finger von ihr lassen. Melisande würde eine Weile um ihn trauern, die Erregung und Gefahr seiner Nähe würden ihr schmerzlich fehlen. Emma wusste nur allzu gut, wie verlockend diese Gefahren sein konnten.
Aber die Zeit heilte alle Wunden, sie würde darüber hinwegkommen und schließlich den Mann finden, der sie lieben und achten konnte. Und Viscount Rohan sollte zur Hölle fahren und mit ihm alle Herzensbrecher und Frauenhelden!
20. KAPITEL
I n dieser Nacht hatte Lady Melisande Carstairs erotische Träume. Zum ersten Mal in ihrem Leben schreckte sie, von kleinen Wonneschauern durchrieselt, aus dem Schlaf hoch und richtete sich entsetzt auf. Das erste Licht des Morgengrauens drang durch die Vorhänge, und ihr Blick fiel auf das Fläschchen Laudanum auf ihrem Nachtschrank neben dem Glas Wasser.
Nie wieder Laudanum! dachte sie grimmig. Sie wollte es schon beim ersten Mal nicht einnehmen. Rohan, dieser Mistkerl, hatte sie dazu überredet. Und jetzt feierte er vermutlich seine Flucht vor ihr.
Um diese Stunde schläft er wahrscheinlich noch, dachte sie und schloss die Augen wieder. Und das wollte sie ihm auch geraten haben, denn er war sie längst nicht los. Wenn er dachte, sie würde mit ihrem verstauchten Knöchel im Bett bleiben und ihm alle weiteren Nachforschungen überlassen, hatte er sich gewaltig geirrt! Sobald die Wirkung der teuflischen Droge nachgelassen hatte, wollte sie aufstehen und sich ans Werk machen. Bei der Soiree der Elsmeres hatte sie eine Einladung zu einem Ball erhalten, den der Duke und die Duchess of Worthingham gaben, und wenn Rohan sich weigerte, sie zu begleiten, wollte sie das Fest ohne ihn besuchen. Die Gesellschaft rümpfte zwar die Nase über Frauen, die sich alleine bei offiziellen Anlässen zeigten, aber davon wollte sie sich nicht beirren lassen.
Sie würde eine geeignete Begleitung finden. Beispielsweise Miss Mackenzie, ihre ehemalige Gouvernante, die den Mädchen Lesen und Schreiben beibrachte. Allerdings lehnte Miss Mackenzie Viscount Rohan ab und würde sich vielleicht weigern, mit ihr zu kommen. Dann bliebe ihr nur die Wahl zwischen Emma und Violet, beide Frauen würden die Gäste in empörten Aufruhr versetzen. Ein verlockender Gedanke! Allerdings durfte sie nicht riskieren, die letzte Gelegenheit zu verpassen, Fortschritte in ihren Nachforschungen zu erzielen. Die bewusste Vollmondnacht näherte sich beängstigend rasch.
Gegen zehn Uhr humpelte sie die Treppe hinunter, begleitet von kritischen Ermahnungen ihrer Schützlinge. „Es geht mir gut“, beschwichtigte sie die schnatternde Gänseschar, als sie im Parterre angekommen war. In Wahrheit bereitete ihr der verstauchte Knöchel höllische Schmerzen, aber immerhin konnte sie den Fuß belasten und gehen, und sie wollte um keinen Preis ihre kostbare Zeit im Bett verbringen. „Hört auf mit dem Theater!“
Emma stand am Ende der Treppe und beobachtete sie mit strengem Blick. „Du sollst doch nicht …“, begann sie, aber Melisande schnitt ihr das Wort ab.
„Kein Grund zur Sorge. Ich schone mich, wenn ich die Angelegenheit erledigt habe. Der Fuß ist nicht gebrochen, und die Schmerzen sind erträglich.“
„Du bist der starrsinnigste Mensch, der mir je begegnet ist“, meinte Emma und zwang sich, ruhig zu bleiben. „Wieso hörst du nicht auf einen vernünftigen Rat?“
„Weil ich ihn nicht für vernünftig halte. Steht Lord Rohans Pferd noch im Stall?“
Emma schüttelte den Kopf. „Er ließ es gestern Abend abholen. Und der Stallbursche … äh … nahm auch deine Stute mit. Der Viscount sagte, du kannst in den nächsten Wochen nicht ausreiten, und er will dafür sorgen, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher