Im Sog der Sinnlichkeit
seit Langem gelüstete, desto weniger Gefahr drohte ihm. Wobei das Wort Gefahr im Zusammenhang mit Melisande Carstairs eher irreführend war, da sie kaum eine Gefahr für ihn darstellte, höchstens vielleicht für seinen fordernden Schwanz.
Verdammtes Frauenzimmer!
Er stürmte mit weit ausholenden Schritten die Straße entlang, die kühle Nachtluft tat ihm gut. Er wünschte sich beinahe, von Straßenräubern überfallen zu werden. Ein paar Banditen die Nasen blutig zu schlagen, hätte ihm Erleichterung verschafft und seine brodelnde Wut abgekühlt.
Mit seinem Bruder Charles hatte Benedick so manchen Faustkampf ausgetragen, während er seinen kleinen sanftmütigen Bruder Brandon stets beschützt hatte. Das alles war heute anders. Brandon war nun dreißig und ein erfahrener Soldat. Heute könnte Benedick ihn zum Faustkampf fordern.
Aber Brandon war ein gebrochener Mann, der immer noch unter seinen schweren Kriegsverletzungen litt; es wäre kein fairer Kampf. Ihn herauszufordern, würde Benedick nichts bringen, aber versuchen könnte er es wenigstens. Vorausgesetzt, er traf seinen Bruder irgendwann in den nächsten Tagen an. Der einst fröhliche Junge wäre wenigstens bereit, mit ihm zu streiten, wenn er ihn richtig reizte. Benedicks Hauptsorge war jedoch, seinen Bruder vor den üblen Machenschaften des Satanischen Bundes zu schützen. Im Gegensatz zu Charity Carstairs gab er sich allerdings nicht der Illusion hin, die ganze Welt retten zu können.
Aber Brandon musste er retten. Benedicks Eltern verließen sich auf ihn; sein Pflichtgefühl forderte es von ihm. Seine Zuneigung zu seinen Geschwistern, die nie das taten, was er für richtig hielt, brachte ihn zwar oft an den Rand der Verzweiflung, aber er wollte nicht noch einen Menschen verlieren.
Er betrat sein Haus, reichte Richmond, der geduldig auf ihn gewartet hatte, Hut und Handschuhe und wies ihn an, ein heißes Bad bereiten zu lassen. Es war ein langer Tag gewesen. Morgen würde er sich Brandon vornehmen. Wenn nötig, würde er ihn in seinem Zimmer einsperren, bis die Vollmondnacht vorüber war. Damit wäre Lady Carstairs Problem zwar nicht gelöst, aber sie sollte sich einen anderen edlen Ritter suchen, der besser zu ihr passte, und gemeinsam mit ihm gegen Ungerechtigkeit und Grausamkeit zu Felde ziehen. Er würde den beiden alles Glück dieser Erde gönnen.
„Wünschen Mylord zu Abend zu speisen?“, fragte Richmond, der ihm gefolgt war, höflich.
Seit dem Picknick hatte er nichts gegessen, hatte nur Melisande mit Vergnügen zugesehen, wie sie sich über die letzten Krümel hergemacht hatte. Ein paar Bissen würden seine übellaunige Stimmung vielleicht dämpfen, aber ihm war nicht nach Essen zumute. „Nein, Richmond. Eine Flasche Brandy genügt.“ Und er begab sich in seine Privatgemächer in der Absicht, sich sinnlos zu betrinken.
Emma Cadbury saß mit sorgenvoll gerunzelter Stirn im Lehnstuhl und legte die Fingerkuppen aneinander. Sie hatte gegen jede Vernunft gehofft, sich geirrt zu haben. Als sie ihr Etablissement noch geführt hatte, war Benedick Rohan ein gelegentlicher Gast in ihrem Haus gewesen, über den die Mädchen sich einstimmig höchst lobend geäußert hatten. Nun hatte Melisande sich bis über beide Ohren in ihn verliebt, und Emma hatte still gehofft, er würde ihre Zuneigung erwidern.
Sie hätte es besser wissen müssen. Frauen fühlten sich nun mal zu Lebemännern hingezogen, und Melisande erglühte wie ein junges Mädchen für den blendend aussehenden Viscount. Ein Blick in Rohans verwegene Gesichtszüge hatte ihr genügt, um ihm und seinem spöttischen Charme zu erliegen.
Man konnte es ihr kaum verdenken. Keine Frau konnte Rohan widerstehen, und Melisande war erschreckend naiv und unerfahren, mochte sie sich auch noch so weltgewandt geben. Wilfred Hunnicut hätte es verdient, geteert und gefedert zu werden, statt letztlich doch noch Erfolg mit seinen durchtriebenen Machenschaften zu haben. Er hatte sich mittlerweile die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns geangelt, dessen Vermögen er nun verprassen konnte.
Hätte Benedick Rohan auch nur andeutungsweise zu erkennen gegeben, dass er Melisande zärtliche Gefühle entgegenbrachte, hätte Emma alles darangesetzt, die Beziehung zu fördern. Sie stieß einen kleinen verächtlichen Laut aus. Als wäre ein Mann wie Rohan überhaupt zu zärtlichen Gefühlen fähig! Nein, Melisande brauchte einen rechtschaffenen Mann, der auf sie aufpasste und sie daran hinderte, sich Hals über Kopf
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