Im Sog der Sinnlichkeit
bewegt wird.“
Melisande starrte Emma ungläubig und wütend an. „Und du hast das zugelassen?“
Emma lächelte dünn. „Denkst du etwa, ich könne einen Peer des Königreichs davon abhalten, das zu tun, was er sich in den Kopf gesetzt hat? Hätte ich mich vor das Pferd werfen sollen?“
„Pferdediebstahl ist ein Verbrechen“, entgegnete Melisande finster.
„Silberlöffel stehlen ist ein Verbrechen“, entgegnete Emma seelenruhig. „Es wäre reine Zeitverschwendung, wenn du ihn vor Gericht bringen wolltest. Du hast doch nicht vor, das Haus zu verlassen, oder? Der Doktor hat dir strikte Bettruhe verordnet.“
„Der Doktor ist ein alter Tattergreis.“
„Zwingst du mich, dich von den Mädchen festbinden zu lassen, damit du Ruhe gibst?“
„Das würde nichts nützen. Wirklich, Emma, mir geht es gut!“, beharrte sie störrisch. „Der Knöchel tut kaum noch weh, ich schaffe das. Ich muss unbedingt Lord Rohan sehen, wir haben einiges zu besprechen.“ Zum Beispiel verbotene Momente in der dunklen Höhle oder seine heißen Küsse, schoss es ihr durch den Sinn.
„Du weißt ebenso gut wie ich, dass eine Dame einem Gentleman keinen Besuch abstattet. Wenn du etwas mit ihm zu besprechen hast, lass ihm eine Botschaft zukommen und bitte ihn um einen Besuch. Wie oft muss ich dir das noch sagen? Und wie oft hast du nicht auf mich gehört?“
„Und du weißt ebenso gut wie ich, dass ich keine Zeit verlieren darf. Er könnte bis zum nächsten Winter mit seiner Zusage warten. Nein, wenn ich Viscount Rohans Unterstützung wünsche, muss ich ihn aufsuchen und zwingen, mich anzuhören. Ich brauche eine Kutsche.“
Emma sah sie mit der gleichen Halsstarrigkeit an, die sie Melisande immer vorwarf. „Und wenn ich mich weigere?“
„Dann bitte ich eines der Mädchen darum. Mach mir keine Schwierigkeiten, Emma. Wenn du darüber nachdenkst, musst du zugeben, dass ich recht habe. Und wenn du um meinen guten Ruf besorgt bist, kannst du mich ja begleiten. Ich bin schon mit Rohan auf einem Pferd sitzend durch London geritten, und das bisschen, was von meinem Ruf noch übrig war, dürfte damit ohnehin beim Teufel sein“, erklärte sie heiter. „Was kümmert es mich? Ich komme sehr gut mit meinem schlechten Ruf zurecht.“
„Wenn du denkst, meine Begleitung wäre von Nutzen, dann scheint auch dein Verstand beim Teufel zu sein. Die Begleitung einer stadtbekannten Bordellwirtin trägt keineswegs zur Verbesserung deines Rufes bei.“
„Ich lebe mit einer stadtbekannten Bordellwirtin und zwanzig ehemaligen Prostituierten, Kurtisanen und Straßenmädchen unter einem Dach. Das sollte genügen, um dir jede Hoffnung zu nehmen, mein Lebenswandel könnte in den Augen der Gesellschaft als schicklich gelten. Lass es gut sein, Emma! Du verschwendest deine Zeit. Du nennst mich unvernünftig, dabei denke ich nur praktisch.“
Emma presste die Lippen aufeinander. „Du bist unbelehrbar“, erklärte sie seufzend.
Melisande humpelte zum Sofa, ließ sich anmutig darauf niedersinken, ohne sich die Schmerzen anmerken zu lassen. „Ich weiß. Zeig mir lieber, welche Fortschritte unsere Schützlinge gemacht haben.“
Die nächsten Stunden verliefen in angenehmer Stimmung. Emma ging mit den jüngeren Mädchen den Lehrstoff der vergangenen Unterrichtsstunden durch. Betsey war am eifrigsten bemüht, sich im Lesen und Schreiben hervorzutun, und Melisande musste über ihren kindlichen Lerneifer schmunzeln. Die Kleine war einfach entzückend. Und wenn sie daran dachte, zu welchem Elend sie auf der Straße verdammt gewesen wäre, gefror ihr das Blut in den Adern. Kinder wie die verwaiste Betsey, Frauen wie die von Männern misshandelte Raffaella mit ihrem entstellten Gesicht und dem lahmen Bein oder Emma, die erst seit Kurzem wieder lachen konnte, erinnerten Melisande daran, dass sie in ihren Bemühungen, gestrandete Frauen zu retten, nicht nachlassen durfte.
Sie überlegte, ob sie einen Tag warten sollte, um ein Gespräch mit Rohan zu führen, konnte aber nicht still sitzen, sie fühlte sich rastlos und fahrig. Ihre Brustspitzen drängten sich gegen das Baumwollhemd, und zwischen ihren Beinen spürte sie ein befremdliches Pochen. Sie hatte am Morgen ein heißes Bad genommen in der Hoffnung, die Spannung würde weichen, aber ihre Unrast hatte sich nur verschlimmert.
Sie gab dem Laudanum die Schuld daran. Es hieß, das Beruhigungsmittel verursache seltsame Träume, an die sie sich zwar nicht erinnerte, aber sie waren gewiss der Grund ihrer
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