Im Sog Des Boesen
zu viel auf den Rippen, einen Schmollmund, grüne Augen und kleine, feiste Hände mit winzigen, hochglanzpolierten Nägeln sowie Ringe an beiden Daumen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
Lucas zog seinen Ausweis aus der Tasche und legte ihn auf den Verkaufstisch. »Ich würde mich gern ein paar Minuten mit Ihnen über Dick Ford unterhalten.«
»Ohh …« Ihre Unterlippe begann zu zittern, und sie wandte den Blick ab. Als sie ihn wieder ansah, merkte er, wie traurig sie war. »Haben Sie den Mörder gefunden?«
»Ich arbeite nicht für die Stadt, sondern für den Staat Minnesota«, sagte Lucas und schüttelte den Kopf. »Wir ermitteln parallel, haben aber den Täter noch nicht.«
Charlene nickte und rief der Frau, mit der Lucas zuerst gesprochen hatte, zu: »Mary, der Mann ist von der Polizei. Ich muss mit ihm über Dick reden.«
»Okay.«
Charlene ging Lucas durch das Geschäft voraus in einen Lagerraum voller Schuhkartons, in dem in einer Ecke zwei Plastikstühle standen. Auf dem Regal daneben befanden sich ein nicht eingestecktes altes Radio sowie ein Aschenbecher mit vier ausgedrückten Zigarettenkippen. Sie setzten sich. Lucas holte ein Notizbuch aus der Brusttasche und fragte: »Sie waren mit Mr. Ford zusammen?«
»Wir sind hin und wieder miteinander ausgegangen, zum Essen und so. Ein richtiges Paar waren wir nicht, eher eine lose Gemeinschaft.«
»Die Kollegen aus Minneapolis sagen, Sie hätten keine Ahnung, wer ihn umgebracht haben könnte.«
»Ein Mistkerl.«
»Haben Sie seit dem Gespräch mit meinen Kollegen irgendetwas Neues gehört? Oder ist Ihnen in Bezug auf Mr. Ford etwas eingefallen?«
»Nur Klatsch. Alle denken, es müssten die Goths gewesen sein, aber ich kenne ein paar von denen, und bis jetzt bin ich keinem Goth begegnet, der zu so etwas in der Lage wäre.«
»Sie sind nicht in der Szene?«
»Seh ich so aus?«
»Na ja, nach der Arbeit …«
»Nein. Früher hab ich solche Leute sogar ausgelacht. Mir sind die zu theatralisch.«
»Mr. Ford war ein Goth, oder?«
»Ja, irgendwie schon. Wissen Sie, solche Moden kommen und gehen. Vor zwanzig und vor zehn Jahren war das mal
in, und jetzt wieder … Dick ist vor zehn Jahren total drauf abgefahren, hat sich aber verändert, kein Dope mehr geraucht und keinen Alkohol mehr getrunken, hat angefangen, Geld zu sparen, und einen Kurs in Buchführung gemacht. Ich glaube, er wollte einen eigenen Club eröffnen …« Ihre Stimme zitterte. »Hätte er wahrscheinlich auch geschafft, wenn er nicht umgebracht worden wär’.«
Lucas wartete, bis sie sich wieder fing; von dem Gestank aus dem nicht geleerten Aschenbecher wurde ihm fast übel. »Sie haben ihn in der Nacht seines Todes im A1 getroffen?«
»Ja.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich bin nach der Arbeit hin, auf ein Bier und einen Cheeseburger, und wir haben uns ein paar Minuten unterhalten. Weil ziemlich viel los war, bin ich wieder nach Hause. Wir wollten am nächsten Abend in Loring Park spielen. Ich hab ihn nie wiedergesehen …«
»Das ist wirklich hart«, sagte Lucas.
»Ja.«
»Sie sagen, es hätte Klatsch gegeben …«
Sie wandte kurz den Blick ab. »Von Karl, einem Freund von Dick, weiß ich, dass ein Goth-Mädchen aufgetaucht ist, eine Fairy, die niemand kannte …« Ihre Stimme wurde höher. »Sie hat sich angeblich mit Dick unterhalten, bevor das Lokal zumachte. Nicht dass was mit den beiden gelaufen wäre …«
»Haben Sie das den Kollegen von der Stadtpolizei gesagt?«
»Nein … Das sollte Karl machen.«
»Wie heißt dieser Karl noch?«
»Lageson.« Sie buchstabierte den Namen und fügte hinzu: »Karl mit K. Er wohnt in Uptown, keine Ahnung, wo genau.«
Lucas notierte alles und fragte: »Und wie soll man sich so eine Fairy vorstellen?«
»Schmal und zierlich, große Augen, lange Beine, kurzer Rock, zerschlissene Strümpfe, alles schwarz. Dazu schwarzer Nagellack, purpurroter Lippenstift, schwarze Haare. Nicht alle Fairys haben schwarze Haare, sie aber offenbar schon.«
»Ich glaube nicht, dass Karl irgendjemandem von ihr erzählt hat«, sagte Lucas.
»Scheiße. Er könnte sie doch beschreiben - oder behauptet das zumindest. Aber er ist irgendwie …« Sie tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Zu viel Gras. Vielleicht hat er sich alles nur ausgedacht oder in einem seiner Gothic-Comics gelesen.«
»Hat irgendjemand sonst sie gesehen?«, erkundigte sich Lucas.
»Keine Ahnung. Da müssen Sie im A1 fragen, dort redet man sicher drüber. Goths lieben
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