Im Sog Des Boesen
Gehsteigrand, steckte den SKA-Ausweis hinter die Windschutzscheibe, obwohl die meisten Kollegen seinen Porsche inzwischen kannten, und betrat das Gebäude. Dann ging er auf Fluren, die jetzt nicht mehr wie früher nach Rauch rochen, in Richtung Mordkommission.
Harold Anson war an seinem Schreibtisch so darin vertieft, einen MP3-Player mit einem Laptop zu synchronisieren, dass er Lucas nicht bemerkte.
»Ich wusste gar nicht, dass es so viele Polkas gibt«, bemerkte Lucas.
Anson fuhr hoch, schlug sich mit der Hand gegen die Brust und sagte: »Mein Gott, schleich dich doch nicht so rein.«
»Du wirkst schuldbewusst«, stellte Lucas fest. »Machst du grade Raubkopien?«
»Ach was. Glaubst du, ich will das FBI am Hals haben?«
Sie mussten beide lachen.
»Du ermittelst im Fall Ford?«, wollte Lucas wissen.
Anson spitzte die Ohren, fuhr den Computer herunter und drehte sich mit seinem Stuhl zu Lucas um. »Ja, warum?«
»Der Gouverneur ist mit Alyssa Austin befreundet«, antwortete Lucas und setzte sich auf die Kante des zweiten Schreibtischs. »Er will, dass ich mit ein paar Leuten rede. Dabei möchte ich dir nicht in die Quere kommen.«
»Für mich kein Problem«, erwiderte Anson gähnend und streckte sich. »Aber mit Whistler solltest du drüber sprechen.«
Whistler war der Leiter der Mordkommission.
»Hab ich schon. Er sagt, er hat kein Problem damit, aber ich soll mich mit dir in Verbindung setzen.«
Anson zuckte die Achseln. »Tja, dann … Wir haben alles Jim Benson übergeben.«
»Ich bin seine Unterlagen durchgegangen«, erklärte Lucas. »Er hat keine Ahnung, weiß nicht mal, ob die junge Austin tot ist.«
»Ist sie. Auf die Idee, dass sie nicht tot sein könnte, kommt man nur, wenn man zu lange drüber nachdenkt.«
Lucas pflichtete ihm bei: Ja, Frances Austin war tot. »Habt ihr irgendwas über Ford rausgefunden?«
»Viele Hinweise gibt es nicht. Wir hören uns noch um.«
»Dann mache ich mich parallel an die Arbeit«, verkündete Lucas und richtete sich auf. »Wenn ich was rausfinde, sag ich Bescheid.«
»Mach das. Was ich noch fragen wollte: Wie viel verdient Benson deiner Meinung nach im Jahr?«
»Keine Ahnung. Im Schnitt vielleicht fünfundsiebzig«, antwortete Lucas.
»Tatsächlich? Der Allerhellste scheint er ja nicht grade zu sein.«
»Er ist ganz in Ordnung«, sagte Lucas.
»Und was müsste man tun, um …?«
Anson war seit fast zweiundzwanzig Jahren bei der Polizei von Minneapolis und suchte nach Zuverdienstmöglichkeiten im Ruhestand. »Leider ist meine einzige Qualifikation die Straßenproktologie.«
Macy’s lag zu Fuß nur zehn Minuten von der Mordkommission entfernt mitten im Einkaufsviertel. Lucas kaufte sich unterwegs ein Eis und blieb stehen, um sich mit Uniformierten zu unterhalten, die gerade einen Ladendieb zum Streifenwagen führten.
Der Dieb hätte gut und gern einem Hollywood-Film entsprungen sein können: Er trug eine knittrige graue Baumwollhose und einen fleckigen Parka, dazu einen Fünftagebart und verfilzte Rastalocken und begrüßte Lucas mit: »Hallo, Davenport.«
»Bist du das, Louis?« Louis hatte seit seiner letzten Begegnung mit Lucas über zwanzig Kilo abgenommen.
»Ja.«
»Siehst ganz schön scheiße aus«, sagte Lucas und leckte an seinem Eis.
»Hab Aids, Mann.« Erst jetzt merkte Lucas, dass das Weiß in Louis’ Augen gelb war.
»Mein Gott, Louis.«
»Früher oder später erwischt’s einen eben.« Louis ging auf den Strich, ohne wirklich schwul zu sein.
»Dann wind dich nicht raus, sondern geh in den Knast. Da wirst du besser versorgt«, riet ihm Lucas.
»Warum hätt’ ich mich sonst erwischen lassen?«
»Aber steck niemanden an. Schlaf auf dem Rücken, sobald du hinter Gittern bist.«
Louis senkte den Blick. »Man entgeht seinem Schicksal nicht.«
»Wir reden mit den Leuten vom Sheriff«, versprach einer der Uniformierten.
Lucas nickte. Dann machte er einen Schaufensterbummel, begrüßte einen Verkäufer beim Herrenausstatter Hubert White, ließ sich einen italienischen Sommeranzug zum Spottpreis von 2.495 Dollar zeigen und schlenderte in die Kosmetikabteilung von Macy’s. Die Frau im weißen Blazer hinter dem Stand von Dior würdigte Lucas keines Blickes.
»Charlene Mobry?«
Erst jetzt nahm sie ihn wahr. Seufzend wandte sie sich einer anderen Frau im weißen Blazer zu, die gerade ein Regal mit Parfümfläschchen einräumte, und rief: »Charlene? Kunde für dich.«
Charlene Mobry war aschblond, hatte ungefähr fünfzehn Kilo
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