Im Sog Des Boesen
Freund, Verwandte, die von deinem Tod profitieren würden, einen geschäftlichen Konkurrenten …«
»Eine Verwechslung?«, fragte sie aufrichtig schockiert, eine Hand auf der Brust. »Jemand, der es auf mich abgesehen hatte?«
»Fällt dir jemand ein?«
»Nun, Verwandte habe ich, meine Eltern zum Beispiel. Hunters Mutter ist vor ein paar Jahren gestorben, sein Vater lebt in der Nähe von L.A. Der würde etwas Geld erben, hat aber selber genug. Glaubst du am Ende, die Bach-und-Beethoven-Gesellschaft würde einen Killer auf mich ansetzen?«
Er musste lachen. »Ich meine das durchaus ernst. Hast du einen Freund?«
»Nein, noch nicht.«
»Hat es früher einen gegeben? Zu Hunters Lebzeiten?«
»Nein.« Sie klang jetzt deutlich kühler. »Und auch keine Freundin.«
»Hey, ich versuche nur, mir ein Bild zu machen. Sind vielleicht irgendwelche Geschäftsleute nicht gut auf dich zu sprechen? Hast du - oder Hunter - jemanden so verärgert, dass er sich an dir rächen würde? Oder gibt’s einen Stalker?«
Sie wurde versöhnlicher. »Lucas, wir haben Geld, sind aber eigentlich ganz normale Leute. Uns verfolgt niemand; dazu sind wir nicht wichtig genug. Hunter hatte ein gut gehendes Unternehmen, allerdings nicht General Motors. Es gab auch unzufriedene Beschäftigte, jedoch, soweit ich weiß, keine gefährlichen.
Jedenfalls kannten sie mich nicht. Und Hunter ist tot. Warum sollten sie es auf mich abgesehen haben?«
»Denk weiter drüber nach«, bat Lucas sie. »Und informier mich, wenn dir was Neues einfällt.«
Sie verabschiedete sich in der Küche von ihm. Einen Moment später hörte er, wie sie den Motor des Mercedes anließ und das Garagentor sich öffnete und wieder schloss. Die Haushälterin saugte in einem anderen Teil des riesigen Hauses Staub. Er war allein.
Also gut, dachte Lucas. Laut Tatortanalyse hatte sich der Mord - oder was es auch immer sein mochte - auf dem Flur zwischen Küche und Wohnzimmer ereignet.
Doch halt.
Lucas stellte das Szenario nicht nach, sondern dachte lediglich darüber nach, mit Informationen aus der Tatortbeschreibung. Alles auf Anfang. Er ging in die Garage, drehte sich um und kehrte zurück.
Dunkelheit. Alyssa war aus der Garage gekommen, aber hätte Frances es genauso gemacht? Warum sollte sie? Zwei Plätze für Alyssas Autos, einer für den Wagen der Haushälterin. Der wäre zum Tatzeitpunkt leer gewesen. Trotzdem hätte Frances vermutlich vor dem Haus geparkt und wäre zur vorderen Tür hineingegangen. Oder nicht?
Lucas wählte Alyssas Handy-Nummer. »Hat deine Tochter, wenn sie zu dir kam, den Wagen in der Garage oder vor dem Haus abgestellt?«
»Vor dem Haus.«
»Danke.« Klick. Also draußen. Gut, sie kommt zur Haustür herein, von wo aus sie geradeaus in die Küche und nach links in die allgemeinen Wohnräume oder nach rechts in eine Art Salon gehen kann. Doch dafür gibt es keinen Anlass.
Sie schaltet die Alarmanlage aus, bewegt sich geradeaus in die Küche. Was dann? Lucas stellte sich in die eine Ecke der Küche. Sein Szenario begann bereits, sich aufzulösen, weil
sich von hier aus zu viele Möglichkeiten erschlossen. Zwei, vielleicht sogar drei.
- Sie streitet mit jemandem, der mit ihr hereingekommen ist.
- Sie streitet mit jemandem, der sich bereits im Haus aufhält.
- Sie begegnet in der Dunkelheit jemandem - O’Keefes Version -, der auf Alyssa Austin wartet, jedoch aus Versehen Frances angreift.
Passierte es gleich nach ihrem Hereinkommen? Ohne ihren Mantel wäre das schwer festzustellen. Wenn der Schnitte aufwies, hatte sie ihn noch angehabt.
Lucas ermahnte sich weiterzumachen.
Frances wird also angegriffen. Hat der Täter die Waffe bereits, oder holt er sie aus einer Schublade? Würde er den Mord wirklich mit einem Apfelschälmesser begehen, wenn er sorgfältig geplant war?
Lucas blickte sich in der Küche um. Es hätten sich deutlich größere und gefährlichere Messer in unmittelbarer Nähe befunden, in einem Block.
Warum hatte der Täter nicht seine eigene Waffe dabei, wenn der Mord geplant war? Einen Knüppel zum Beispiel. Leise, effektiv, und so auffällige Blutspuren würde der auch nicht hinterlassen.
Lucas faltete die Hände über der Nase und überlegte. Bei einem geplanten Mord hätte der Täter bestimmt eine Waffe mit sich geführt oder ein größeres Messer benutzt.
Folglich war der Mord spontan erfolgt.
Hatte der Täter, falls er das Messer aus der Schublade holte, gewusst, dass es sich dort befand? Kannte er sich in der Küche
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