Im Sog Des Boesen
Hintergrund lief die Wiederholung einer Oprah-Winfrey-Show.
In dem sicheren Gefühl, allen Beteiligten die Zeit zu stehlen, antwortete Lucas: »Wir suchen nach einem Loren, der mit einer jungen Frau namens Frances Austin zusammen war.«
O’Keefe sah ihn verständnislos an. »Tut mir leid, das bin nicht ich.«
»Sind Sie in der Gothic-Szene?«, fragte Del.
»Ich hab ein paar Goths in meinen Kursen.«
»Sie sind Lehrer?«, erkundigte sich Lucas.
»Ja, ich gebe Schauspielunterricht.«
»Hm. Sie wurden mal wegen Marihuanabesitzes verhaftet.«
»Ja, zwei dicke Tüten. Ich hatte drei gekauft, aber erst eine geraucht. Sie haben mich mit zwei Dritteln meiner Wochenration erwischt.«
Lucas sah Del an und nickte in Richtung Tür. »Okay. Ich glaube, Sie sind nicht der, nach dem wir suchen.«
»Was? So schnell? Das können Sie mir doch nicht antun. Trinken Sie eine Tasse Tee mit mir und erzählen Sie mir mehr.«
Lucas sagte, halb zu O’Keefe und halb zu Del: »Mein Bein ist hinüber. Ich hätte nichts dagegen, mich ein paar Minuten hinzusetzen.«
»Wow! Sind Sie der Bulle, der angeschossen wurde?«, rief O’Keefe begeistert aus. »Ihr Name kommt mir bekannt vor.«
Lucas nickte. »Ja, der bin ich.«
»Mord! Ich bin ein richtiger Glückspilz. Kommen Sie rein.«
Der Teekessel stand bereits auf dem Herd. O’Keefe richtete alles sorgfältig her wie eine alte Lady: Tablett, Tassen, Milch. Lucas und Del schlugen sein Milch-Angebot aus,
während er selbst welche in seinen Tee goss. Sie saßen auf zwei Sesseln und einem kleinen Sofa.
»Dann stellen Sie also Nachforschungen über den Barkeeper und den Mann vom Schnapsladen an«, sagte O’Keefe. »Wie sind Sie auf meinen Namen gekommen?«
Lucas gab ihm eine Kurzzusammenfassung der Ermittlungen, während der O’Keefe wie wild in seinem Tee rührte und fasziniert mit kornblumenblauen Augen und rosigem Gesicht lauschte. Er stellte Fragen und entlockte Lucas mehr, als dieser eigentlich preisgeben wollte.
Als Lucas fertig war, nahm O’Keefe einen Schluck Tee und stellte fest: »Sie sollten nicht hinter Lorens herjagen, sondern Druck auf diese Austin-Frau ausüben und das Verbrechen nachstellen, am Tatort.«
»Hört, hört«, sagte Del. »Ein Schauspiellehrer, der das Verbrechen nachstellen möchte.«
»Ja, aus gutem Grund«, sagte O’Keefe und drohte ihnen spielerisch mit dem Finger wie ein Lehrer. »Sie haben zwei Dinge, das Motiv, nämlich Geld, und den Tatort des ersten Mordes. Gehe ich recht in der Annahme, dass das erste Verbrechen einer Serie wahrscheinlich der Schlüssel zu den übrigen ist?«
»Manchmal schon«, antwortete Lucas ein wenig belustigt. »Es gibt Fälle, bei denen der erste Mord verübt wurde, um einen zweiten vorzubereiten, damit die Sache nach einem Serienmord aussieht.«
»Sonderlich häufig dürfte das nicht sein«, entgegnete O’Keefe. »Sie haben also ein Motiv und einen Tatort. Wenn Sie das Verbrechen dort nachspielen, wie es sich Ihrer Meinung nach ereignet hat, erhalten Sie tiefere Einblicke, das garantiere ich Ihnen. Ich unterrichte nicht nur, sondern schreibe auch Stücke, und als Dramatiker legt man besonderes Augenmerk auf den Tatort. Man sucht den realen Ort auf, denn nur dort erkennt man Möglichkeiten und kann
Unmögliches verwerfen. Man sieht die Eigenheiten dieses Ortes, die ihn lebendig werden lassen. Ich würde Ihnen wirklich raten, die Sache nachzustellen.«
»Vielleicht tue ich das tatsächlich«, sagte Lucas.
»Dann wäre da noch etwas anderes, das oft in Stücken auftaucht … letztlich ein Klischee, Sie haben sich sicher schon intensiv damit beschäftigt.«
Lucas breitete die Arme aus. »Was?«
O’Keefe beugte sich, die Teetasse in der Hand, ein wenig vor. »Die Möglichkeit der Verwechslung.« Er hob die Augenbrauen. »Die Tochter kommt nach Hause, es ist dunkel, sie schaltet die Alarmanlage aus, und der Mörder schlägt zu! Aber zu seinem Schrecken muss er feststellen, dass er die falsche Person erwischt hat. Also packt er die Leiche ein und säubert den Tatort, so gut es geht. Da die Tochter nicht im Haus wohnt, versucht er sich so die Chance offenzuhalten, dass ihr Verschwinden erst ein paar Tage später bemerkt wird. Was ihm Gelegenheit gibt, seine Spuren zu verwischen oder sich sein eigentliches Opfer vorzunehmen: die Austin-Frau!«
O’Keefe klang jetzt, als würde er auf einer Bühne stehen, und Lucas und Del lauschten fasziniert. Als er »Die Austin-Frau!« ausrief, zuckten beide unwillkürlich
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