Im Sog Des Boesen
verschwinden? Wenn ihr Geist weiterzieht?«
»Nein. Ich glaube, sie sind da, aber wir - die Toten - können einander nicht sehen. Manchmal wache ich irgendwo am Ufer des Mississippi in St. Paul auf. Alles ist menschenleer, dunkel, neblig und nass. Straßenlaternen sind nicht zu erkennen, nur so etwas wie Lichtkegel, die auf mich herabstrahlen. Irgendwann gelange ich an einen Felsvorsprung, und mein Blick fällt auf ein Boot unten auf dem Fluss, das gerade ablegt - als hätte ich es knapp verpasst.«
»Und du läufst nie runter, um es noch zu erreichen?«
»Ich kann es nicht erreichen«, antwortete er. »Das ist wie in einem dieser Träume, in denen man das Klassenzimmer oder die Toilette nicht findet: Jedes Mal, wenn man glaubt, man wäre da, steht man vor der nächsten Wegbiegung. Das Boot liegt immer dort unten, und die Straße führt den Hügel hinunter, aber ich würde eine falsche Abzweigung wählen.«
Und nach dem Sex gingen sie auf die Jagd.
Jetzt war sie eine Mörderin, und Loren Doyle, der Systemfehler, rief ihr immer noch vom Spiegel aus zu.
Sie musste das Problem irgendwie lösen, trotz ihres Wahns.
Sie blieb noch eine Weile liegen und überlegte, bevor sie aufstand. Als Erstes, dachte sie, brauchte sie Gummihandschuhe und Mülltüten.
Sie ging zur Küche hinunter, mit glasklaren Gedanken, keine Spur mehr von Loren, öffnete den Schrank und holte ein Paar Latexhandschuhe für den Haushalt sowie einen Müllbeutel heraus.
Dann kehrte sie nach oben zurück, bewegte sich an Hunters Zimmer und am Gästezimmer vorbei und die Stufen in den Speicher hinauf.
Dort zog sie eine Plastikaufbewahrungsbox unter einem Stapel alter Puzzles hervor, holte die Fairy-Kleidung und die Perücke heraus und stopfte sie in den Müllbeutel.
Anschließend brachte sie die Sachen in den Waschraum, ging mit einer Taschenlampe zum Wagen hinaus, machte die Beifahrertür auf und inspizierte das Innere.
Was für ein Glück! Nirgendwo auch nur der kleinste Blutfleck.
Als sie sich in den Mercedes gesetzt hatte, war das Blut an ihr offenbar bereits halbwegs getrocknet gewesen, was bedeutete, dass sich keine Spuren auf dem Lederlenkrad und den Sitzen befanden.
Sie ging in die Hocke, lächelte. Gut.
Siehst du, das Schicksal wollte es so. Das Schicksal ist auf deiner Seite, Alyssa. Alyssa, hör mir zu … , flüsterte Loren.
»Verpiss dich«, sagte sie laut. »Du bist ein Systemfehler in meinem Gehirn. Mit dir bin ich fertig.«
Von einer schweren Last befreit, kehrte sie ins Haus zurück, in die Stille, nahm in der Waschküche die feuchte Kleidung aus der Maschine und steckte sie in den Trockner. Dann ging sie noch einmal in die Küche, öffnete den Schrank, wählte grünen Tee aus Japan, gab eine Prise gemahlene Hagebutten dazu und brühte sich eine Tasse auf. Angeblich förderte diese Kombination bei Stress die Konzentration.
Sie musste Fairys Kleidung loswerden und die Sachen im Trockner. Die würde sie ohnehin nicht mehr tragen.
Beim Tee dachte sie nach: Sie konnte alles im Kamin verbrennen. Aber was, wenn die Polizei den überprüfte und Reste entdeckte? Es handelte sich um eine Echthaarperücke; am Ende rochen die Nachbarn das Feuer.
Der Tee beruhigte sie und half ihr beim Überlegen.
Als Erstes kümmerte sie sich um die Fairy-Sachen und die Perücke, dann holte sie die noch leicht feuchte Kleidung aus dem Trockner.
Da klingelte das Telefon.
Ein Blick aufs Display: Davenport. Sie wusste, was er ihr mitteilen würde: Es war wieder ein Mord geschehen. Sie leckte sich über die Lippen, holte tief Luft und nahm den Hörer in die Hand.
»O nein. Nein, nein, nein. Lucas …«
Er würde am folgenden Tag zu ihr kommen, sagte er.
Sie hatte es geschafft, ihn zu täuschen.
Eine Stunde später war sie in ihrem Wellness-Center in Highland Park, nicht weit von Davenports Haus entfernt. Sie bereute es bereits, ihn in den Fall hineingezogen zu haben. Er war einfach zu clever.
Hinter dem Umkleideraum für Damen warf sie die zerkleinerte Perücke und Kleidung von Fairy nach und nach in die Toilette und spülte immer wieder.
Geschafft.
Spuren davon würde die Polizei nie finden.
Zur Sicherheit spülte sie noch ein paarmal nach, damit das Rohr nicht verstopfte, und ging hinaus zu ihrem Wagen. Dort dachte sie an das Spurensicherungsteam, das nach dem Verschwinden von Frances ihre Küche unter die Lupe genommen hatte …
Sie würde im Internet recherchieren, wie sich DNS am besten vernichten ließ. Wenn
Weitere Kostenlose Bücher