Im Sommer sterben (German Edition)
Meilenbach. Im Geiste ging er die Speisekarte durch und wählte die gebackenen Egli. Eine große Portion, und ein Bier. Der kleine Motor gurgelte in den Wellen und gab sein Letztes.
Eigentlich war er froh, dass er alleine war. Corina mochte keine Wellen und Sturm verheißende, gelbe Blinklichter schon gar nicht. Ihr wurde schlecht, wenn es zu arg schwankte.
Kathrin, die immer noch Ferien hatte, war mit ihrer Clique auf »Schnäppchenjagd«. »Geiz ist geil, Papa«, hatte sie gesagt. Er fragte sie nicht nach dem tieferen Sinn dieser Botschaft, und auch nicht danach, wem sie wohl nütze. Sie konnte nichts dafür, dass er bei T-Shirts für fünf Franken immer an Kinderarbeit und an die Ausbeutung in der Dritten Welt denken musste. Vielleicht war ein Monatslohn von einem Dollar für eine Achtjährige wirklich »geiler« als Prostitution und Drogen. Was wusste Kathrin schon, und was würde es helfen, wenn sie es wüsste?
»Kommen Sie um Gottes willen herein!«, rief es vom Ufer. Ein Mann in gelbem Ölzeug und grünen Fischerstiefeln winkte hektisch.
Eschenbach steuerte so gut es ging auf den Holzsteg zu, wo der Mann stand. Die Wellen schlugen gegen das Boot, und er hatte große Mühe, den Kurs zu halten.
»Hier, werfen Sie das Tau!«, schrie der Mann, als Eschenbach näher kam.
Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, als er die Kabine verließ und dem Mann im Ölzeug das Tau zuwarf. Das Fischerboot wehrte sich widerspenstig gegen seine Fesseln. Erst als es vorne und hinten am Holzsteg festgezurrt war, knarrte es zufrieden und schaukelte wie eine altmodische Kinderwiege mit den Wellen auf und ab.
Der Mann im gelben Ölzeug war eine Frau. Maggie Wullschleger, Berufsfischerin aus Horgen. »Sie sind mir aber einer«, sagte sie, als sie am Stammtisch saßen und ein großes Helles vor sich hatten.
Eschenbach, dem Regen und Schweiß aus den Haaren über die Stirn lief, hob sein Glas: »Auf meine Rettung, und nochmals vielen Dank. Petri Heil!« Er war durchnässt bis auf die Unterhosen.
»Petri Dank!«, sagte sie, und beide tranken.
Der Wirt, ein stämmiger Endfünfziger mit Stirnglatze, brachte ein Küchentuch, mit dem sich der Kommissar Haare und Nacken trocknen konnte; und eine Viertelstunde später stand eine Platte mit herrlich gebackenen Egli auf dem Tisch.
Das Mobiltelefon, das er aus seiner nassen Hosentasche zog, funktionierte zum Glück noch. Er wählte die Nummer vom Präsidium.
»Sie haben doch Ferien …«, sagte Rosa Mazzoleni in vorwurfsvollem Ton. »Jetzt, wo’s regnet«, fügte sie noch hinzu. Er wusste nicht, ob der Vorwurf ihm oder dem Wetter galt. »Wo sind Sie?« Die Besorgnis in ihrem Tonfall gewann Überhand.
»Gestrandet.«
»Gestrandet? Um Gottes willen!«
»Und gerettet.« Eschenbach musste grinsen und sah zu Maggie, die mit ihrer Gabel gerade das letzte Stück Egli von der Platte fischte.
»Das auch noch«, kam es von Rosa Mazzoleni erleichtert. »Sie sind mir aber einer …«
»Das hat mir heute schon jemand gesagt.« Er räusperte sich. Dann sagte er ernst: »Salvisberg wollte mir noch etwas zukommen lassen, Sie wissen schon. Ein graues Kuvert: Laborbefund. Könnten Sie mal kurz, ich meine …«
»Ich schaue nach.« Es raschelte im Hintergrund. »Hier, ich habe es. Soll ich’s aufmachen?«
»Gerne. Lesen Sie vor.«
»Sehr geehrter Herr Eschenbach,
unsere labortechnischen Untersuchungen haben ergeben, dass die beiden Haarproben, bezeichnet als Probe A: Fall D., Basel, und Probe B: D. H., Zürich, mit einer Wahrscheinlichkeit von 99.99% nicht identisch sind. Unser Resultat stützt sich auf folgende Analyseverfahren: DNA-Test …
Jetzt kommt nur noch technischer Firlefanz, soll ich trotzdem weiterlesen?«
»Nein, das reicht. Vielen Dank und … Frau Mazzoleni?«
»Ja?«
»Können Sie den Bericht vernichten … zu den qualifizierten Abfällen, meine ich.«
»Ich stecke ihn persönlich in den Reißwolf, keine Sorge. Und Sie machen jetzt Ferien, verstanden?«
»Verstanden«, sagte er. Dann war die Leitung tot.
Ein wenig schämte sich Eschenbach. Er hatte nie wirklich geglaubt, dass Doris Hottiger beim großen Abrechnen ihres Ziehvaters mit von der Partie war. Und doch, konnte er sicher sein? Die mysteriöse Blondine in Pierre Olivers Bett – womöglich hatte sie ihm das Schlafmittel in den Wein, den Champagner oder in sonst was getan, bevor Ernst Hottiger ihm den »Rest« geben wollte. Die Haarproben von Doris hatte er aus Philipp Bettlachs Haus, und es hatte ihm einfach
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