Im Sommer sterben (German Edition)
keine Ruhe gelassen. Jetzt wusste er’s.
»Blond ist nicht immer gleich blond«, murmelte er vor sich hin und nickte zu Maggie herüber, die mit einem Hölzchen zwischen ihren Zähnen stocherte. Eschenbach hob fragend die Augenbrauen. Sie nickte. Dann bestellte er noch zwei Helle.
34
Marianne Felber saß in der Redaktion des Zürcher Tagblatt s an ihrem Schreibtisch und fluchte: »Scheiße«, zischte sie unablässig in den halb leeren Kaffeebecher, den sie sich gegen die Lippen presste: »Scheiße.«
»Jetzt hör endlich auf damit«, schimpfte Xeno Schluep. »Ich kann es nicht mehr hören!« Xeno hatte gerade seinen Computer ausgeschaltet und griff nach der Freitag -Tasche, die an der Stuhllehne hing. »Komm lieber noch mit ins Avalon einen Prosecco kippen. Ich lade dich ein.« Er versuchte es mit einem Augenzwinkern.
»Das ist einfach nicht zu fassen«, fauchte Marianne. »Nicht zu fassen.«
»Es wird nicht besser, wenn du die Sätze wiederholst.«
»Doch, wird es.« Sie fuchtelte mit weißem Papier.
»Kommst du jetzt mit, oder was?«
»Die ignorieren das einfach!« Marianne ließ die Schultern hängen und seufzte. »Ich produziere doch nicht für die Müllabfuhr.« Sie hätte gerne geschrien. Stattdessen sprach sie unterdrückt und leise, machte aus jedem Vokal eine Kanonenkugel. Schüsse mit Schalldämpfer. Sie warf die drei zusammengehefteten DIN-A4-Blätter aufs Pult. Wieder kaum ein Geräusch. Warum können Männer Fernsehapparate aus dem Fenster schmeißen, wenn Fußballclubs verlieren? Und warum brachte sie es nicht fertig, wenigstens die Computermaus gegen die Wand zu werfen? Wireless von Logitech für hundertzehn Franken. Sie würde das Ding später ersetzen. »Dieser Artikel …« Sie stand auf. »Die wollen darüber nichts mehr bringen. Aus und fertig.«
»Eben«, nuschelte Xeno. »Und wenn Randegger das sagt, dann ist es so. Reg dich nicht auf.«
»Randegger ist ein …« Marianne konnte sich kaum mehr zurückhalten und warf ihrem Kollegen einen giftigen Blick zu. So wie er dastand, mit der geschulterten Plastikmappe und dem zerzausten, blonden Haar, sah er nicht aus wie dreiundvierzig. Eher wie ein Zweitklässler, fand sie. Höchstens.
»Also ich gehe jetzt … ich meine, kommst du?«
»Nein … ich weiß nicht. Es ist doch nicht normal, dass einer einen umbringt; sich selbst dann in die Luft jagt und nicht mehr als fünf Sätze darüber geschrieben wird, oder?«
»Sieben«, korrigierte Xeno.
»Was sieben?« Marianne zupfte am dunkelblauen T-Shirt, das knapp ihren flachen Bauch bedeckte.
»Es sind sieben Sätze, ich habe sie gezählt: sieben im Bund , in der Neuen Zürcher Zeitung und sieben bei uns. Dieselben Sätze, derselbe Wortlaut.«
»Dann findest du es also auch nicht in Ordnung?«
»Doch!« Xeno lachte. »Es sieht sehr nach Ordnung aus.« Marianne zog die Augenbrauen kraus.
»Es scheint, als käme das Diktat von ganz weit oben; deshalb würde ich mir keine großen Gedanken mehr machen.«
»Du meinst, es ist etwas faul?«
»Nein, aber es scheint, als habe jemand dafür gesorgt, dass es ein rasches … ein stilles Ende gibt.«
»Bei einer Explosion!«, rief Marianne.
»In der Presse, meine ich. Kein großes Tamtam und so.«
»Aha! Und das ist so üblich bei euch in der Schweiz …« Marianne rollte die Augen. »Also bei uns in Deutschland …«
»Ich weiß«, unterbrach Xeno. »Bei euch kotzt jeder öffentlich.«
»Bei uns gibt es wenigstens eine Pressefreiheit.« Marianne ließ sich wieder in den Stuhl fallen und verschränkte die Arme. »Wenigstens das.«
»Ich weiß. Und die Stasi …«
»Das war in der DDR und ist schon fünfzehn Jahre her … Ach was weißt du schon.«
»Ich lese die Zeitung.«
»Eben!« Marianne triumphierte. »Und wenn dort nur sieben gezinkte Sätze stehen, dann kannst du sie dir gleich in die Schuhe stopfen.« Xeno hatte ihr einmal erzählt, dass er als Offiziersordonnanz im Militär seinen Vorgesetzten mit Zeitung die Stiefel ausstopfen musste.
Xeno lachte. »Was soll daran gezinkt sein? Es war die Wahrheit, kurz und bündig.«
»Und keinen interessiert’s mehr! Das ist doch zynisch, oder?«
»Wieso? Die deutsche Presse hat mit den CDU-Spendengeldern über ein Jahr lang die Zeitungen gefüllt. Und nichts ist dabei herausgekommen! Das finde ich zynisch!«
Sie schwieg, schob sich die Sonnenbrille ins Haar und schaltete den Bildschirm aus. Wortlos gingen sie zum Ausgang.
Es war ein versöhnlicher Abend gewesen, und Marianne
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