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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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übersehen, zwischen der mehrseitigen Berichterstattung zur andauernden Hitzewelle und den Bildern der kampierenden Prinzessin. Sogar die Feriengrüße der schweizerischen Cervelat-Prominenz und der Artikel zum Verbot von Feuerwerkskörpern am Nationalfeiertag waren größer, farbiger und besser platziert.
    Trotz der gewaltigen Explosion starb Hottiger also leise und unbemerkt an einem tragischen Unfall . Eschenbach beneidete ihn post mortem um seine Beziehungen.
    Kobler, mit der er inzwischen mehrmals telefoniert hatte, war heilfroh, dass die Sache low key verlaufe, und dass der Fall nun als »gelöst« zu den Akten gelegt werden könne. Deutlich mehr Sorge bereiteten ihr die Waldbrände an der Côte d’Azur. In St. Tropez sei der Himmel rabenschwarz, meinte sie. Es klang ernst. Eschenbach versicherte, dass das brennende Bootshaus gelöscht und der Himmel in Zürich blau sei. Und dass er nun ein paar Tage Urlaub nehme, fügte er beiläufig hinzu, wohl wissend, dass schwer etwas dagegen einzuwenden war.
    Johannes Bettlach erschien pünktlich um vier. Eschenbach, der früher gekommen war, saß im Schatten der Platanen im Garten des Zürichhorns vor einem Glas Rotwein. Er sah auf den See hinaus. Kleine hüpfende Wellen umspielten die Boote an den Bojen. Wie trunken schwankten die Schiffe im Wasser, und hier und da blitzten die blanken Metallbeschläge in der Sonne.
    Er bemerkte den großen, hageren Mann erst, als dieser sich zu ihm setzte und ihn anlächelte. Sein dicht gewelltes, weißes Haar, der dunkle Teint und die große, leicht gebogene Nase hatten etwas von einem römischen Kaiser, fand Eschenbach.
    Er suchte die hellen Augen Bettlachs, die sich hinter dunklen Gläsern versteckten. Wie bei einem Blinden. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass das Lächeln gar nicht ihm galt. Dass er an ihm vorbei auf den See sah und eine Fratze zog. Ein Irrtum der Gesichtsmuskulatur. Beide schwiegen eine ganze Weile.
    »Und, sind Sie jetzt glücklich, Herr Kommissar?« Er nahm die Brille ab und sah Eschenbach an. »Sie haben Ihren Fall gelöst. Bravo.« Er sprach leise und klatschte andeutungsweise ein paar Mal in die Hände. Er tat es so langsam, dass Eschenbach die Altersflecke auf seinen großen Händen zählen konnte. »Ein Mörder weniger für Sie … und ein Toter mehr. Das macht’s einfacher, nehme ich an.«
    Eschenbach schwieg einen Moment. Bettlach klang zynisch, aber als er ihn ansah, wusste er, es war kein Zynismus: Es war Trauer, tiefe Traurigkeit. »Sie waren Freunde, ich weiß. Es tut mir Leid für Sie.« »Es muss Ihnen nicht Leid tun, Herr Kommissar. Sie sind der Jäger … Sie machen Ihren Job, sonst nichts.«
    »Und Sie?« Eschenbach spürte, wie sein Magen in Wallung geriet. Plötzlich nervte ihn die distanzierte Gelassenheit seines Gegenübers. Die Art, wie er über allem stand und ihm die Rolle des Jägers unterjubelte. »Wo waren Sie, als sich das Unglück anbahnte? Doris ist immerhin Ihre Tochter. Warum haben Sie Ihren Bruder nicht rechtzeitig in die Klapsmühle gesteckt?«
    Es dauerte eine ganze Weile, bis Bettlach antwortete.
    »Waren Sie schon einmal in einer Klapsmühle, Herr Kommissar?« Er sprach langsam, fast monoton. »Zugedröhnt mit Medikamenten? Elektroschocktherapie und … «, er stockte einen Moment. Dann fuhr er fort: »Philipp war in mehr Klapsmühlen als Sie in Hotels, Herr Eschenbach. Es gibt kaum einen führenden Psychiater, Neurologen oder Therapeuten auf der Welt, bei dem er nicht in Behandlung gewesen wäre. Seine Auslandsaufenthalte, Ferien, Studien … die verbrachte er alle in geschlossenen Anstalten, in Klapsmühlen, wie Sie sagen. Therapien über Therapien, die alle nicht hielten, was sie versprachen. Die ganze Pharmaindustrie hat sich an ihm gesundgestoßen. Aber er blieb krank. Und ich konnte die Hoffnung nie aufgeben. Er war doch so gesund, so robust, rein äußerlich, meine ich. Er war so fröhlich, charmant und geistreich …« Bettlach hielt inne. Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, rieb sich die Augen, nahm seine Sonnenbrille, wollte sie aufsetzen und legte sie wieder zurück auf den Tisch. »Es ist schwierig, gegen eine Krankheit anzukommen, die man nicht sieht. Die keine hässlichen Pusteln und kein Fieber verursacht. Die man nicht wegoperieren und an der man nicht einmal sterben kann.« Er senkte seinen Blick und starrte eine Zeit lang schweigend vor sich hin. Dann wollte er weitersprechen, zögerte und hob seinen Blick hinauf in den Himmel, wo die

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