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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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während ich in den Staaten hockte, machte sich Bettlach an Doris ran. Ich wäre besser hier geblieben … dann wäre das alles nie so weit gekommen.« Er schloss die Augen für einen Moment und atmete tief durch, bevor er weitersprach. »Jetzt habt ihr das ganze Gesindel quasi auf dem Präsentierteller. Ihr müsst sie nur einsammeln … aber nicht mal das könnt ihr. Mein Gott!« Er stand immer noch da, halb sitzend, halb stehend an den Tisch gelehnt. »Es gibt Studien, die sagen, dass über fünfzig Prozent der Täter in ihrer Kindheit selbst missbraucht worden sind. Sehen Sie das denn nicht? Das hört nie auf, ein Perpetuum mobile … das nimmt kein Ende!«
    Eschenbach schwieg. Er dachte an die Namen auf der Liste. Über vierhundert, nur im Kanton Zürich. Die Spitze eines Eisberges. »Und jetzt? Wollen Sie die alle umbringen?«, fragte er Hottiger. »Mit dem Risiko, dass es auch mal einen Falschen trifft?« Es war ein müdes Argument, er wusste es. Aber ihm fiel kein besseres ein.
    »Bettlach und dieser … ach, wie hieß er noch, dieser egozentrische Musiker aus Basel …«
    »Pierre Oliver … oder Peter Deck«, warf Eschenbach ein.
    »Genau, Deck! Das waren nicht die Falschen, Herr Kommissar. Es gibt Videos. Ich kann Sie Ihnen gerne zeigen …«
    »Das können wir uns sparen«, sagte Eschenbach. »Ich habe die Videos gesehen.«
    »Na also. Weshalb die Aufregung? Obwohl … Oliver war schon tot, als ich kam.«
    Eschenbach stutzte.
    »Herzprobleme, wie ich später erfahren habe … schwierig zu glauben.«
    »Was ist schwierig zu glauben?«, fragte Eschenbach.
    »Dass so jemand überhaupt ein Herz hat.« Hottiger versuchte ein Lachen, das wie ein heiseres Husten klang. »Das Mädchen und das Schlafmittel … war wohl zu viel für ihn. Ein unverdient schöner Abgang, finde ich.«
    »Haben Sie ihm … Ich meine, die Frau und das Schlafmittel?«
    »Schicksal, Herr Kommissar. Es ist besser, wir gehen jetzt.« Er stand auf, tastete nach der Brille auf dem Schreibtisch und setzte sie auf. Dann ging er ein paar Schritte auf Eschenbach zu und blieb nochmals stehen. »Wenn es vorbestimmt ist, dass Sie von einem roten Auto zu Tode gefahren werden, Herr Kommissar, dann kommt es so. Glauben Sie mir, dann befördert Sie eines schönen Tages eine rote Karre ins Jenseits.«
    »Ach ja? Und wer bitte bestimmt das?«
    »Ist das wer denn so wichtig? Reicht Ihnen nicht die Tatsache, dass es so ist?«
    Sie gingen schweigend nach unten.
    »Ich habe meine Sachen im Bootshaus. Ich bin gleich wieder zurück.« Er öffnete das Fenster zum Garten.
    »Einen Moment noch …« Eschenbach nahm ihm die Waffe aus dem Schulterholster. »Ich weiß, Sie können es nicht … aber es ist besser so.«
    Hottiger lachte hinter dunklen Brillengläsern.
    Durch die riesige Fensterfront, die bis zum Boden reichte, sah Eschenbach, wie er den Kiesweg hinunter zum See ging und im Bootshaus verschwand. Ein Segelboot kreuzte weit draußen auf dem Wasser. Es war etwas Wind aufgekommen. Die Schweizer Fahne neben dem Bootshaus streckte und wand sich. Eschenbach wunderte sich, dass sie auf Halbmast stand.
    Der Kommissar sah die Explosion, bevor er sie hörte. Die Fensterfront zerbarst und kam wie ein gewaltiges Mosaik aus Glas auf ihn zugeflogen. Eschenbach warf sich auf den Boden. Ein Regen aus Glassplittern prasselte auf ihn nieder. Er schützte Hinterkopf und Hals mit den Händen und blieb noch eine ganze Weile so liegen. Als er aufgestanden war, bemerkte er, dass er an Armen und Händen blutete. Er entfernte die Scherben und ging zum Eingang, wo er Hemd und Hose auszog. Dann lief er zum Auto und rief Streifenwagen und Notarzt.

33
    Hottiger hatte nicht überlebt. Die Spurensicherung nahm an, er habe sich unmittelbar neben der Sprengladung befunden, als sie detonierte. Es wäre schwierig gewesen, überhaupt noch etwas von ihm zu finden, hatte man ihm auch noch mitgeteilt.
    Eschenbach saß in seinem Lieblingscafé an der Limmat und aß Joghurt – was er selten tat. Eigentlich nie, außer wenn er krank war oder sich so fühlte. Seine Hände und Arme waren mit Heftpflastern übersät, und am linken Unterarm, wo ein Splitter besonders tief eingedrungen war, trug er einen weißen Verband.
    Er ging die Zeitungen durch.
    Obgleich er den Medien ein ausführliches Pressekommuniqué hatte zukommen lassen, schrieben sie kaum mehr als ein paar Zeilen. Sogar die Boulevard-Presse berichtete so kurz und sachlich, als fehle es ihnen an Tinte. Er hätte es beinahe

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