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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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natürlich. Er hat uns finanziell sehr unterstützt … auch wenn es ihm selbst nichts mehr gebracht hat.«
    »Wie meinen Sie das, ihm nichts mehr gebracht?« Marianne wurde hellhörig.
    »Als Patient …«, kam es zögerlich. »Ich meine, Herr Hottiger war Patient unseres Instituts. Aber eigentlich dürfte ich das gar nicht … das sind Informationen, die wir nicht herausgeben.«
    »Das weiß ich natürlich.« Marianne spürte, wie ihre Hände feucht wurden. Jetzt musste sie ihr ganzes journalistisches Geschick aufwenden, um herauszufinden, an welcher Krankheit Hottiger gelitten hatte. »Ernst war sehr froh über die Arbeit Ihres Instituts und hat mir sogar aus einem der Forschungsberichte vorgelesen. Er war überzeugt, dass sie ihm helfen würden.«
    Die Dame am anderen Ende der Leitung schwieg.
    »Es ist doch so«, bohrte Marianne weiter. »Er hatte guten Grund, sich Hoffnung zu machen, oder nicht?«
    »Sie kennen Ernst Hottiger nicht gut, oder?« Die Stimme der Dame war plötzlich kalt.
    »Was heißt schon kennen.« Marianne schaltete blitzschnell. »Sicher hat er mir nicht alles erzählt … und überhaupt: Was wissen wir schon von den Menschen um uns? Selbst jenen, die uns vermeintlich sehr nahe stehen?«
    »Aber aus den Berichten hat er Ihnen vorgelesen?«, fragte die Dame spitz.
    »Natürlich«, konterte Marianne. »Aber vielleicht hatte es mit seiner Krankheit nur am Rande zu tun. Ich verstehe nicht viel von medizinischer Forschung, müssen Sie wissen.«
    Stille in der Leitung.
    »Was ist denn falsch daran?«, hakte Marianne nach. Sie spürte, dass ihr Lügengebilde nahe daran war einzustürzen. »Dass er mir aus den Berichten vorgelesen hat, ist es das, was Sie stört? Weil er es unmöglich durfte?«
    »Nein«, sagte die Stimme nach einer Weile. »Nicht konnte. Ernst Hottiger konnte Ihnen unmöglich etwas vorlesen.«
    »Weshalb denn nicht? Er war doch kein Analphabet.«
    »Nein, das war er nicht. Er konnte nicht lesen, weil er nahezu blind war.«
    Marianne schluckte.
    »Selbst mit einer Lupe hätte er kaum etwas gesehen. Nur Licht und Schatten, wir konnten ihm leider nicht helfen.«
    Einen Moment lang war Stille, dann legte Marianne den Hörer auf.

35
    Eschenbach genoss die paar Tage Ferien, die er sich genommen hatte, und saß auf der kleinen Terrasse seiner Altbauwohnung mitten in Zürich. Er streckte die Arme. Der Himmel war klar, und der Kommissar wusste, dass hinter dem alten Gebäudekomplex im Osten bereits die Sonne schien. Erst kurz nach elf Uhr würde sie die ersten Strahlen über das finstere Ziegeldach zu ihm auf den Sitzplatz werfen. Von nun an jeden Tag ein paar Minuten später, dachte er; der August war ein Tagedieb.
    Obwohl er für drei gedeckt hatte, saß er alleine am Frühstückstisch. Corina war beim Früh-Yoga, und Kathrin schlief noch. Gestern waren sie zusammen im Kino gewesen: Master and Commander mit Russell Crowe. »Das ist wieder so ein Männerfilm«, hatte Corina ihm ins Ohr geflüstert, als die Fregatte von Crowe mit Kanonendonner angegriffen und beinahe zerlegt wurde. »Jetzt wisst ihr, was eine richtige Breitseite ist«, hatte er seinen beiden Frauen gesagt. In der Pause gab’s Popcorn und Cola, danach flogen wieder die Spanten; allerdings die des gegnerischen Schiffs. »Und wieder keine einzige Frauenrolle«, hatte Corina bemängelt. Dafür alles auf Großleinwand und mit Dolby-Surround-Sound, dachte Eschenbach. Sein zufriedenes Gegrunze war im Kampfgetöse untergegangen.
    Er hatte das schnurlose Telefon mit auf die Terrasse genommen und sich mit vollem Mund gemeldet.
    »Sind Sie es, Chef?« Die Stimme von Rosa Mazzoleni kam zögernd.
    »Ja, sicher …« Er schluckte den Bissen hinunter.
    Rosa wollte ihm die Geschichte gleich vorlesen: Zürcher Tagblatt , Frontseite, Inlandteil. »Fast eine ganze Seite, Chef.« Weiter als bis zur Überschrift war sie jedoch nicht gekommen. Der Kommissar hatte sich auch noch das letzte Croissant genommen, das eigentlich für Corina reserviert gewesen war, und gesagt, er würde sofort ins Präsidium kommen.
    Nachdem er das Haus verlassen und sich am Kiosk beim Paradeplatz das Tagblatt gekauft hatte, setzte er sich gleich gegenüber ins Mövenpick. Dort stand es: Golfplatz-Schütze war blind! Wer erschoss den Bankier Philipp Bettlach? Als er den Artikel gelesen hatte, war sein Espresso kalt.
    Der Zeitungsbericht hatte eingeschlagen wie eine Bombe.
    Eschenbach saß auf seinem schwarzen Ledersessel im Büro und legte den Hörer zurück auf

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