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Im Sommer sterben (German Edition)

Im Sommer sterben (German Edition)

Titel: Im Sommer sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Arm. Dann ging er ein paar Schritte und setzte sich auf die Kante des großen Eichentisches im hinteren Teil des Raumes.
    Eschenbach sah im Halbdunkel nur das Weiß seiner Augen und spürte, dass Hottiger ihn ansah.
    »Wissen Sie, was es heißt, in einem Heim aufzuwachsen, Herr Kommissar?« Er sprach leise, fast flüsternd. Eschenbach musste sich anstrengen, dass er alles verstand. »Damals, als sich keine Sau für Heime interessierte und dafür, was hinter den Mauern und Türen vor sich ging? Wissen Sie, was ich alles tun musste, bis ich ein Luftgewehr bekam? Und Munition, und Zielscheiben? Wie viel Vaterliebe ich ertragen musste, von Männern, die keine Väter waren? Dann bekomme ich einmal in meinem Leben eine Chance. Ein Kind, das mich braucht, meine Liebe und meinen Schutz. Und ich merke, ich kann es gar nicht …«
    Eschenbach sah angestrengt ins Halbdunkel. Und plötzlich, wie Furien aus der Dunkelheit, flogen ihm die Antworten zu, nach denen er so fieberhaft gesucht hatte: Wie groß musste Hottigers Schmerz gewesen sein, als sich Doris von ihm abwandte und Schutz und Wärme in den Armen eines andern suchte. In den Armen eines Mannes, der zudem sein Alter hatte und ebenso gut ihr Vater hätte sein können.
    »Es ist schon eigenartig, wenn Sie plötzlich merken, dass Sie nicht können«, fuhr Hottiger fort. »Sie wollen die Hand reichen, und sehen, sie ist gar nicht da. Nur ein Stumpf am Handgelenk. Sie wollen hochspringen und merken, dass Sie gar keine Füße, keine Knie haben. Wenn nichts da ist, nichts von Sinn und Wert, dann wird sogar das Einfache unmöglich. Verstehen Sie? Dann können Sie nicht einmal Vater sein.« Er strich sich mit der rechten Hand durch den Bart, der im Halbdunkel fast weiß schien. »Haben Sie Kinder?«
    Eschenbach nickte. »Eine Tochter.«
    »Ihre eigene … ich meine, sind Sie der Vater?«
    »Nein.«
    »Spielt es für Sie eine Rolle?«
    »Ich weiß es nicht. Manchmal denke ich darüber nach, wie es wäre … ich meine, ob ich zu einem leiblichen Kind anders wäre. Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Als Doris klein war, in der Badewanne planschte und mir ihre Arme entgegenstreckte … ich konnte sie nicht einmal berühren, ohne das Gefühl zu haben, ich täte ihr Unrecht. Dasselbe Unrecht, das man mir angetan hatte … es klingt absurd, ich weiß. Aber so war’s!«
    Eschenbach nickte, obwohl er sich nicht sicher war, ob er es verstand.
    »Ich wickelte sie in Handtücher, in saubere, weiße Handtücher, nur weil ich mich schämte, sie anzusehen und sie zu berühren.« Eine ganze Weile schwieg Hottiger. Hockte auf dem schweren Schreibtisch und fuhr mit der Hand entlang der hölzernen Kante. Dann stand er auf. »Ich bin nicht Doris’ Vater, Herr Eschenbach … aber ich nehme an, das wissen Sie bereits.«
    »Ich wusste es nicht, aber ich habe es angenommen«, sagte der Kommissar. Er hatte sich auf den Hocker gesetzt, den ihm Hottiger zugeschoben hatte. Jetzt wurde ihm unwohl. Er stand wieder auf. »Johannes Bettlach, nicht wahr? Er ist der Vater von Doris?«
    »Sehen Sie, Herr Kommissar, das wiederum weiß ich nicht – aber ich nehme es auch an.«
    »Sie haben nie danach gefragt?«
    »Nein, nie direkt. Erstaunt Sie das?«
    »Ehrlich gesagt ja. Sie waren doch Freunde.«
    »Wir sind es immer noch. Ich habe nicht viele Freunde.« Er lächelte. »Genau genommen sind Eva und Johannes die einzigen. Freundschaft ist etwas, das man sehr genau nehmen sollte.«
    »Sie sagten Eva?«
    »Ja, Eveline Marchand. Ich weiß nicht warum, aber ich habe sie von Anfang an nur Eva genannt. Sie findet Sie übrigens hinreißend …«
    »Ach ja?« Eschenbach hüstelte.
    »… und Matter ist ein häufiger Name. Also hieß sie eine kurze Zeit Eva Matter. Wir wollten kein Risiko eingehen. Wegen Philipp, meine ich.«
    »Und die Leiche?«
    »Ach was! Es gab nie eine Leiche.« Hottiger schien sich zu ereifern. »Es werden heute Milliarden von Dollars verschoben, ohne dass Bares fließt. Schweinebäuche werden gehandelt, in Kontrakten, mit einem Federstrich erworben und verkauft, ohne dass sie je einer in den Händen hatte. Warum glauben Sie, dass es mit einer einzigen Leiche anders ist?«
    »Aber das mit Philipp, das ging nicht mit einem Federstrich?«
    »Nein. So was macht einen fertig, das ist kein Federstrich …« Er holte tief Luft, wie ein Schwimmer, bevor er abtaucht und wendet. Dann sprach er weiter. »Als Eva und Johannes damals zu mir kamen und mich baten, diese besondere Form einer Patenschaft zu

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