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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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interessiert.
    »… die zwei, drei, die da Kritik geäußert haben«, sagt der Mann, der irgendwo am Telefon sitzt und dessen Stimme ihm bekannt vorkommt, »diese Leute haben natürlich auch recht. Und ich habe fast bisschen bedauert, dass du den einen jungen Mann abgewürgt hast, der gemeint hat, ich bin ’n Arschloch, denn das ist ja nicht in allen Punkten falsch.«
    »So.« Domian lacht. »In welchen Punkten ist es denn richtig?«
    »Ich kann diese Leute, die, wo, äh, äh, sag ich mal, anrufen und sagen: Gaywatch gefällt mir nicht und so, ich kann das nachvollziehen, dass da manche Leute sich ’n bisschen auf den Schlips getreten fühlen.«
    »Ja.«
    »Ja.« Jetzt weiß der Graf, wer da beim schwulen Domian anruft, dieser Talkmaster, Schmidt, Harald Schmidt, den hat er ein paarmal bei »Verstehen Sie Spaß?« gesehen, als er die Sendung noch moderiert hat, muss einige Jahre her sein, und jetzt hat er wohl eine Show im Nachtprogramm bei einem der Privaten, die Mädels erzählen ständig davon, er hat’s noch nie gesehen. »Verstehen Sie Spaß?« hat er gerne gesehen, und »Wetten, dass …?« auch, das war noch mit Elsner, in den Siebzigern, Achtzigern, in München mit den Mädels, bei Schampus und Weißbier und Hühnchen, das waren immer schöne Samstagabende gewesen. Dieser Schmidt, denkt er, scheint auf dem Weg nach oben zu sein, die Leute regen sich auf über ihn.
    »… ob du Schwule und Lesben in deinem Bekanntenkreis hast?« Es sind immer die Schwulen und Lesben bei Domian, denkt er. Er nimmt sein Glas, ein kurzer Pfeifton, als er das Radio berührt, ein Rauschen.
    »Nein, natürlich nicht. Ich habe allerdings sehr viele im Verdacht, dass sie schwul sind und sich vor mir, äh, verstellen, und wenn ich denen so nachts hinterherschleiche, durch die Kneipen oder in den Parks undsoweiter, in dem Moment, wo ich rauskriegen würde, dass die schwul sind, ähm, würde ich natürlich sagen: Mensch, ihr seid schwul. Und das würde ich natürlich am nächsten Tag in der Sendung verwenden, ratet mal, wer alles schwul ist.«
    »Ja.« Da muss der Graf lachen. Und ist froh, dass er seinen Weltempfänger immer dabeihat. Er nimmt sich noch eine Zigarette, und die Fledermäuse und der Oberst und sein Partner in der Stadt, den er vorhin noch angerufen hat, um ihm den neuesten Stand durchzugeben, der saß wieder über seinen Büchern, wegen seiner Weiterbildung, oder ist das sogar ein Studium?; all das ist plötzlich weit weg. Er lacht, und etwas Asche fällt auf seine Brust. Er pustet sie weg. Keine Spuren auf dem weißen Hemd. Die Fünfzehnte heute, obwohl er kürzertreten will.
    »… natürlich kenne ich Schwule. Und ich kenne auch viele Schwule, äh, gerade die kein Problem haben mit diesem Humor, ne?«
    »In diesem Geschäft arbeiten nun gerade sehr viele Schwule.«
    »Hab ich noch nicht so erlebt. Aber es soll vereinzelt Homosexuelle in der Unterhaltungsbranche geben.« Der Graf erinnert sich an einen Unternehmer in München, das muss Anfang der Siebziger gewesen sein, der wollte die schwulen Callboys und Stricher organisieren in einem Club, Zimmervermietung mit Bar sozusagen, das sollte alles über seine Frau laufen, feiner Laden, ganz diskret, da ist Potential drin, meinte der, Geld ohne Ende, denn Schwule gibt’s genug, die da kommen und zahlen würden, meinte er, denn was gibt’s da für schmuddelige Ecken, wo die Notgeilen hinmüssen, er wollte, dass der Graf mit investiert, aber der wollte damit nichts zu tun haben. Mit den warmen Brüdern läuft das nicht. Die arbeiten auf eigene Rechnung, und es gibt genug Bars im Schwulenviertel, wo sie sich treffen können, einen großen professionellen Tuntenpuff, sowas hatte noch keiner probiert, jedenfalls wusste er nichts davon. Hin und wieder gab es da Versuche, Geld zu verdienen, Geld abzuschöpfen, aber eigentlich wollte keiner was zu tun haben damit. Das sind andere Regeln, andere Kreise. Ist auch nichts geworden mit dem Projekt. Sein Vater, und das wundert ihn, wenn er jetzt daran denkt, hat immer höflich und mit Achtung von den Schwulen gesprochen, ein paar schwule Adlige, mit denen sie um viele Ecken verwandt waren und von denen der Graf zumindest immer dachte, als er ein Kind war, dass die schwul waren, zumindest waren sie anders , das konnte er damals verstehen, kamen den Vater manchmal besuchen in seinem Landhaus am Wald in Baden-Württemberg. Abgehalfterte Existenzen, nirgendwo zu Hause, keine Familien mehr, kein Geld, vielleicht waren das die

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