Im Stein
langen wollte, war sie schon weg.«
Domian lacht. Der Graf steht im Zimmer und blättert durch seinen Kalender. Am Dienstag hat er einen Termin bei einem seiner Steuerberater, sein Anwalt aus Frankfurt kommt extra in die Stadt im Osten, da muss er pünktlich wieder zurück sein. Aber am Sonntag oder spätestens am Montag sollte er die Dinge hier geklärt haben, die nötigen Informationen bekommen, die Entscheidung getroffen, die Immobilie gekauft, der Oberst deutete schon mehrfach an, dass andere Interessengruppen interessiert wären und bereitständen, aber was soll er auch anderes sagen, um das Geschäft anzukurbeln, der Graf hat seine Informationen, das Projekt ist noch frisch, alles muss gut durchdacht sein, er wird seine Nase und seinen Bauch und sein Wissen und seine Strategie …, er nimmt keine Valium, keinen Betablocker, auch wenn er schlafen möchte, das System ins Dunkel fahren, um traumlos zu erwachen, aus einem Schwarz zu erwachen und analytisch die Dinge anzugehen …, so wie er es immer gemacht hat. Aber da war doch noch was. Richtig, der verdammte Tyson. Aber brüll mit den Löwen im Chor, wenn es sein muss. Das Telefon klingelt. Er geht zum Radio zurück.
»Natürlich hat man den Eindruck, dass du sehr, sehr respektlos mit allem und jeglichem umgehst. Äh, vor was hast du Respekt?«
»… das ist jetzt auf Anhieb für mich schwer zu sagen, wovor ich Respekt habe. Ich mein, äh …, das, das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich mein, wenn uns ’n Witz zu irgend ’nem Thema einfällt, wird der gemacht …«
»Kennt ihr den? Was ist ein Pole ohne Arme? Na?«
»Und was ist ein Pole ohne Arme?«
»Eine Vertrauensperson.«
Sie stehen vor einem verfallenen Gebäude, um das ein Gitterzaun führt. Das Ziegelportal liegt im Dunkeln, drei Fensterlöcher, keine Laternen weit und breit. Die Lichtkegel der Scheinwerfer berühren die Mauer ein Stück über dem Boden. »Und du bringst mich hierher, um mir Polenwitze zu erzählen?«
»Nein, nein, nein. Geduld mein Freund, Geduld.« Der Oberst steht hinter der geöffneten Tür seines Wolga, stützt sich auf dem Dach ab. »Das ist ’ne einmalige Sache hier. Siehst du sonst nirgends. So wie unsere gerechte Sache, der Sozialismus, einmalig war. Scherz, Scherz! Aber das hier überdauert Zeiten und Systeme. Und so wie unser Zukunftsbordell einmalig wird, was? Was?«
»Wir werden sehen.«
Und dann sieht er. Zuerst denkt er, es sind Vögel. Scharen kleiner Vögel. Jetzt kreisen einige direkt über den Lichtkegeln der Autoscheinwerfer. Und er erkennt, dass es Fledermäuse sind. Aus den Fensterlöchern kommen sie. Über dem flachen Dach kreisen sie. Werden immer mehr, als hätten sie sie aufgeschreckt. Die, die über und in dem Licht kreisen, kann er genau erkennen, ihre Flügel sind durchscheinend, durchsichtig fast. Er kann sich erinnern, als Kind ein paar Fledermäuse gesehen zu haben, zwischen Wald und Haus, in den Abendstunden, wenn sie oft draußen saßen, aber so nah und so genau hat er diese kleinen Tiere noch nie gesehen. Er kann die dünnen Arme und winzigen Hände erkennen, über die sich die Flügel spannen.
»Jetzt ist die Zeit, wo sie rauskommen, wo sie auf Jagd gehen.« Der Oberst starrt auf das Haus, aufs Dach des Autos gelehnt, Schimanski sitzt noch auf der Rückbank und raucht. »Jetzt ist die Stunde der Fledermäuse.« Der Graf steht auf der anderen Seite des Autos. Er nickt und sagt: »Beeindruckend. Wirklich.« Er nimmt sein Zigarettenetui und zündet sich eine an. »Ja, ja, nicht wahr? Wir stehen genau im Sperrstreifen, genau in der Zone. Vierzig, fünfzig Meter. Hinterm Zaun. Baustopp. Absolutes Verbot. Soll bald offiziell Naturschutz. Aber ich sage dir, wenn ich entspannen will, wenn ich runterkommen will, wenn mich alles ankotzt, die Grenze, der Dreck, die Geschäfte, die Nutten, na ja, du weißt schon. Dann steig ich in meinen Wolga und komm hierher.« Er klopft aufs Autodach. Er raucht nicht, denkt der Graf, vernünftiger Mann. »Komm, steig mal aus, erzähl unserem Gast mal bisschen was über die Vielfalt der Fledermäuse!«
Der Graf blickt auf seine Uhr. Das Radio rauscht, polnische Stimmen, die Sender wandern. Zwei Uhr. »Vergiss nicht, um drei. Ich will dir paar Leute vorstellen.« Er braucht einen Kaffee. Er schaltet den Weltempfänger aus, geht zum Telefon und ruft die Rezeption an. Fünf Minuten später klopft es an der Tür. Eine junge blonde Frau mit einem Tablett, auf dem ein Kännchen und eine Tasse stehen. Auf der
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