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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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den Bug, wie eine Galionsfigur, und ihr Mantel flattert im Fahrtwind. Und ihr Haar. (»Welche Farbe? Was spielt die Farbe für eine Rolle, Messieurs! Wenn ich ›une blonde‹ sage, glaubt’s mir eh keiner! Aber einen Pelzmantel trug sie in der Tat, vorne offen. Ihr blondes Schamhaar kräuselte sich im Fahrtwind, sie sah der wunderbaren Kerri Kendall wirklich sehr ähnlich.«, »Kerri Kendall?«, »Playmate des Monats September neunzig, ihr Kulturbanausen!«) Gestalten hinter den Bullaugen. Leiber. Hände. Gesichter pressen sich ans runde Glas, verformt, wie in einem Spiegelkabinett. Das Schiff fährt Richtung Meer. Zum Haff. An der Ostsee ist er noch nie gewesen.
    Er hört das Tuckern des Motors. TÖFF TÖFF TÖFF TÖFF TÖFF. Leiser werdend. Sieht noch den Diesel, dünne, zitternde Linien im Nebel, riecht den Diesel. Sieht das Schaufelrad im schaumigen Wasser, als das große Schiff und das Polizeiboot längst verschwunden sind. Und fernes Verklingen, aber immer noch hier, wo er hockt: »Ich musst’ auch heute wandern / Vorbei in tiefer Nacht, / Da hab ich noch im Dunkel / Die Augen zugemacht.«
    Er läuft die Treppe runter, seine Brille verrutscht auf seiner verschwitzten Nase; er ist mit dem Fahrstuhl bis zur Siebten gefahren, dann ausgestiegen. Jetzt hört er Schritte im Treppenhaus, weiter oben noch, er läuft schneller, nimmt seine Brille ab und steckt sie in die Innentasche, und dann stürzt er. Hört auch unten Schritte, während er stürzt, aber das sind viele. Sehr viele. Getrampel, Stimmen. Gebt euch doch wenigstens Mühe und seid verdammt nochmal leise! Er versucht, sich noch am Geländer festzuhalten. Sein Knie kracht auf die Betonstufen. Einmal, zweimal. Er will sich irgendwie abrollen, aber er verdreht sich das Bein. Ihm wird schwarz vor Augen, aber er schreit nicht. Ich bin zu alt für diesen Scheiß! Der Absatz des linken Schuhs ist abgebrochen. Er ist im fünften Stock. Er humpelt zu einer Wohnung. Drückt die Tür, die nur noch halb in den Angeln hängt, mit der Schulter auf. Beißt sich in die Hand, weil er das Gefühl hat, seine Kniescheibe ist im Arsch. Zieht die Tür hinter sich zu und hockt sich auf den Boden. Wartet fünf Minuten. Hört Sirenen. Hört das Rollkommando im Haus. Kriecht dann durch den Flur ins Wohnzimmer. Sieht den Oberst unten vorm Haus, als er mit beiden Ellenbogen und dem Oberkörper auf dem Fensterbrett liegt. Jemand ist hinter ihm. Zwei Mädchen. Die sich jetzt auf den Boden setzen, nebeneinander, die Rücken an die Wand gelehnt. »Ist o.k.«, sagt er, »ist alles o.k.« Er sieht die Einsatzwagen unten vorm Haus. Kurz scheint es ihm, der Oberst blickt zu ihm hoch, nickt ihm zu, als sie ihn, die Hände auf dem Rücken, verladen.
    Den Kommissar holen sie zu Hause ab. Zur selben Zeit. Haben ihn wohl nur um Minuten verpasst. Er saß vorm Fernseher und schaute sich den Kampf an, den er aufgenommen hatte. Das liest der Graf zwei Tage später in der Zeitung.
    Neben dem Fenster steht ein kleines Regal. Ein paar Porzellanfiguren. Fotos, schwarzweiß. Eine Feier, wie es scheint, irgendwo auf einem Dorf. Leute sitzen um einen großen Tisch im Freien, Männer, Frauen, ein Mütterchen mit Kopftuch, ein Bauernhaus im Hintergrund, eine Pumpe, Wäsche auf einer Leine, sie halten große Biergläser in die Kamera und lachen. Er nimmt sich eine Zigarette aus seinem Etui. Schiebt es dann zu den Mädchen rüber. Er sieht, wie sie Mario verladen in der Morgendämmerung. Wer jetzt wohl die Puffs übernimmt? Alles schien gut organisiert, gut geplant. Die Kontakte stimmten. (Er konnte nicht wissen, dass die Staatsanwaltschaft seit Monaten gegen den Hauptkommissar, seinen V-Mann Mario und den Oberst ermittelt.) »Willst du einen Rat?«, sagt der Mann mit der Bomberjacke, der aus der Küche kommt, eine Tasse Kaffee in der Hand, »hm?« Das Geschäft ist geplatzt. Das weiß er sofort, sagt ihm sein Instinkt. Russischer Akzent. Kann aber auch polnisch sein. Was weiß er schon? »Geh. Fünf Minuten. Das Geschäft ist geplatzt.« Er trinkt und lacht, wirft die Zeitung neben sich aufs Bett . Die Krankenschwester bringt seine Pillen. Später ruft er seinen Anwalt, seinen Steuerberater und seinen Partner an. V-Mann des V-Manns . LKA startete Großaktion. Weitere Verdächtige in U-Haft. Der am selben Tag festgenommene Bordellbesitzer M., 42, angeblich ein V-Mann des Kommissars … Die Ermittler des LKA standen vor der Frage, »wer da eigentlich wessen V-Mann war« … Die Ermittler zerschlugen

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