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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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dass er riecht, nicht schlimm, aber ein bisschen zumindest, er und sein Trenchcoat; er hat lange nicht mehr geduscht, spürt sein fettiges Haar, obwohl das immer noch ganz gut aussieht, silbern glänzend, wenn er es kämmt, und er weiß, dass der Stoff, sein alter Trenchcoat, nicht mehr sauber ist. Er hat ihn neunundachtzig in Westberlin gekauft. Wie lange das schon her ist, fast nicht mehr wahr … Kaffeeflecken. Essensflecken. Kleine Brandlöcher von Zigaretten. Aber es ist Nacht, und hinter ihm, Westseite, das schwarze Loch. Und auf der anderen Seite, im Osten, die Straße der Drogen. Zwei schwarze Löcher, sollten die sich nicht gegenseitig aufheben? Kokain hält ihn munter, ab und an, wenn es sein muss. Er hat auch eine Kanone gekauft, aber die hat er wieder weggeworfen, obwohl sie ihn …, das muss noch zu Mark-Zeiten gewesen sein, sicher ist er sich nicht mehr. Das sind die Jahre und die Nächte. Und der Kaffee und die Kippen und der Koks. Den er so selten durch seine Nase zieht. Weil er schonmal eine Knarre hatte. Und weil er nie wieder trinken will, muss er auch das Koks sein lassen.
    Als er am Fluss stand, die wilden Lichter des Rummels hinter sich, hat er die Kanone in den Fluss geworfen. Achterbahn, Riesenrad, Lichter auf dem Wasser. Die Schreie der durch die Luft Geschleuderten. Seine Erste. Eine Makarow. Von einem Russen, den er durchs Wetten kannte. Der eigentlich ein Jugo war, wie er später rausfand. Aber perfektes Russisch sprach. Und beste Kontakte zu den Russen hatte, die nach neunzig anfingen, ihre Knarren und alles andere zu verscherbeln, bevor sie langsam aus der Stadt verschwanden.
    Handgranaten und Panzerfäuste waren billiger, als man dachte. Einen Panzer zu kaufen wäre sicher schwierig gewesen. Er hat sich das manchmal vorgestellt. Er war Panzerfahrer gewesen bei der Asche. Weil er so klein war. Manche seiner Kollegen, bei den Pferden, waren so klein, dass man sie ausgemustert hatte. Zumindest für den Schreibtisch brauchbar. Dreiundneunzig hätte er gerne einen Panzer gehabt. Oder eine Panzerfaust. Mit dem Panzer ins Gericht rein und diese Schweine alle plattgemacht. Durch Wände und Verhandlungen gebrochen, bis in den Saal, wo das Schwein M. vor sich hin grinste, zusammen mit dem Richter und dem Staatsanwalt, und dann immer noch grinste mit seinen nichtmal vier Jahren. Das hätte sicher Kollateralschäden gegeben. Aber die gab es auch vorher, und keinen hat es interessiert. Da hat er noch schwer gesoffen in der Zeit. Und ist ganz froh, dass er nicht an einen Panzer rankam. Nichtmal an eine Panzerfaust. Zwei-, dreimal hatte er die Möglichkeit gehabt, an schwere Artillerie zu kommen. Da gab’s auch später einen Tschechen, der ihm ein Bren angeboten hat. Als er schon dabei war, vom Schnaps wegzukommen. »Was, verdammt nochmal, soll das sein?«
    »Gutes MG. Schweres MG. Reißt Löcher in Ziegelwände wie Faust.«
    Wenn er gewusst hätte, wo das Schwein wohnt, hätte er sich das Bren gekauft, ein paar Reserven hatte er noch, die Erbschaft der Mutter, und hätte ihn und am besten auch sein Haus pulverisiert. Weil er immer in seinem Kopf hatte, dass das Schwein in einem schönen kleinen, mittelgroßen Haus wohnte. Nicht zu fassen. Das war, als er wieder rückfällig wurde. Man darf nichts nehmen, auch kein Koks, wenn man sauber ist. Aber das Koks ist nur einmal im Monat, ungefähr, höchstens, wenn er nicht aufhören kann, durch die Straßen zu irren, an den Türen zu klingeln, die Nummern anzurufen, den Mädchen ins Gesicht schaut, ganz genau hinschaut, weil er nicht weiß, wie sie jetzt aussieht.
    Er ist sogar nach Berlin gefahren, als er einen Tipp bekam. Weil der Tscheche, den er durchs Wetten kannte, sich für ihn umgehört hat. Wohin das Schwein verschwunden ist, hat er nie rausbekommen.
    Hat dies gehört, hat das gehört, dass das Schwein M., als er aus dem Knast raus ist, dies und das gemacht hat, hatte der nicht ’ne Baufirma gehabt …, aber dass muss in der Phase gewesen sein, als er selbst so tief, so tief geschlafen hat …
    Und in Berlin hat er einige Straßen abgeklappert, hat in einige Clubs geschaut. Weil er nichtmal weiß, ob sie im Freien arbeitet oder in einer Wohnung. Oder in einem Club. Oder vielleicht gar nicht mehr. Aber er hat ein paar Mädchen getroffen in all den Jahren, die sie kannten. Er hat Informationen gesammelt in all den Jahren. Wenn er bei den Frauen in den Zimmern saß, dachte er manchmal, dass es vielleicht sogar gut wäre, wenn sie solche

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