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Im Stein

Im Stein

Titel: Im Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Meyer
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sagen, dass er den Whirlpool leeren und saubermachen soll. »… genießen.« Der Club hat noch ein paar Stunden geöffnet. Zeit, nochmal ins Büro zu fahren. Zeit, schlafen zu gehen. Er muss telefonieren, dass sie nochmal in den Club schauen, Alex anrufen, ist das immer noch Alex nach all den Jahren? Manchmal kann er sich kaum erinnern. Wenn der Boden vibriert. Die Geräusche der Nacht. Das Quietschen von Straßenbahnen und S-Bahnen, die er aus seiner Kindheit kennt. Er reibt sich das linke Bein, spürt seine Kniescheibe hart durch den Stoff.

    Er trinkt seinen Kaffee in dieser kleinen Kaffeebude gleich bei den Bahnsteigen. Gegenüber den Bahnsteigen. Er mag diese obere Ebene des Bahnhofs, so dicht bei den Zügen. Erst dort, in dieser kleinen Kaffeebude, hat er den Geschmack eines guten Americano zu schätzen gelernt. Hatte erst nicht gewusst, was das sein soll. Americano. Amerikanischer Kaffee, oder was? »Ist der süß?«, hat er gefragt, als er es das erste Mal gelesen hat über der kleinen Verkaufstheke. »Nein. Ist nicht süß.« Espresso mit kochendem Wasser aufgegossen. Er mag die Kaffee-Variationen, seit er nicht mehr trinkt. Diese Americanos kann er tassenweise in sich reinschütten, ohne dass ihm die Pumpe geht. Das liegt daran, dass so viel kochendes klares Wasser drin ist. Er hat das vorher nicht gekannt, Espresso mit kochendem Wasser aufzugießen. Espresso gab’s auch erst nach der Wende. Ex presso, weil’s schnell geht. Magenschonend. Herzschonend. Und über Leber und Bauchspeicheldrüse brauchen wir gar nicht zu reden.
    Bevor diese Bude an den Bahnsteigen aufmachte vor ein paar Jahren, war er unten bei den Bäckereien. Da war und ist der Kaffee billiger. Er überlegt, wann die den Bahnhof komplett umgebaut haben. Er kennt noch das dunkle Loch. Den schwarzen Sarkophag. Bevor sie alles umgegraben und renoviert haben. Da war er noch in den Kneipen und hat gesoffen. In den Bahnhofskneipen. Eine war unten im Tunnel, der zwischen den beiden Hallen verlief, eine oben bei den Bahnsteigen. Er erinnert sich an das schmutzige gewölbte Glasdach, über den beiden Hallen und über den Bahnsteigen. Jetzt scheint und fällt das Licht durchs Glas, Sonne, Sterne, Flugzeuge; damals, vor Jahren, waren die kleinen gläsernen Quadrate dreckig und schwarz. Das Flattern der Tauben, er hört und sieht es noch. Und hört das Klappern und Klirren von den Bahnsteigen und Gleisen, die Geräusche der Züge, der Schienen, der Fahrt, die verschwanden, als das Licht durchs Glas fiel. Alter Bahnhof. Neuer Bahnhof. Wohin die Tauben wohl verschwunden sind? Die Baugruben kommen und gehen, und die Jahre spielen keine Rolle für ihn. Wenn die Nacht kommt.
    Seitdem er aufgehört hat zu trinken, trinkt er Kaffee und raucht. Er hat früher, als er noch getrunken hat, auch Kaffee getrunken und geraucht. Aber längst nicht so viel wie heute. Zumindest nicht so viel Kaffee. Geraucht hat er schon damals wie ein Schlot. Aber anders. Als er noch ritt, war das wegen des Gewichts. Und wegen der Sauferei. Die auch zum Teil wegen des Gewichts war. Weil er nach ein paar Schnäpsen immer rauchen musste. Nicht dass er immer die Gewichtsprobleme gehabt hätte, das begann, als die Vierzig in Sicht kam. Kurz vor der Wende. Und das mit dem Saufen war nur eine Entschuldigung dafür. Das Gewicht. Wenn er heute darauf zurückblickt, sieht er das so. Aber der Schnaps hat immer den Appetit und den Hunger heiß ausgebrannt. Und ihm den Mut gegeben, als seine besten Jahre vorbei waren. Koks gab es damals noch nicht. Aber Apotheker und Veterinäre, die hatten genug Pillen und Tropfen, Pulver und Spritzen. Koks nehmen sie heute doch alle, die Top-Jockeys und auch die Mittelklasse-Jockeys. Denkt er. Weiß es aber nicht genau. Vor kurzem oder vor paar Jahren haben sie den Starke erwischt, in Hongkong, was für ein klasse Mann, was für ein Reiter, aber der Hunger und das Gewicht und der Mut können einem ganz schön zu schaffen machen. Wenn’s um so viel Geld geht. Nicht zu vergleichen mit den Erdnüssen damals. Peanuts. Sein Problem war, dass er kein Englisch konnte, sonst wäre er sicher irgendwo untergekommen nach der Wende. Auch daran denkt er, während er seine Hände um den großen Pappbecher Americano legt. Und die Nacht über dem Glasdach und hinter den Ausgängen spürt. Diesen Seitenausgängen. West und Ost. Durch die manchmal der Föhn zieht, der manche Nächte wärmer macht als den Tag.
    Er zieht die Aufschläge seines Trenchcoats zusammen. Er weiß,

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