Im Strudel der Gefuehle
dieser Ehe gezwungen. Bis du dich bereit erklärst, sie offiziell zu beenden, wirst du dich gefälligst in der Öffentlichkeit wie eine verheiratete Frau benehmen. Wir sind hier nicht in Großbritannien und die Morans sind keine Mitglieder der englischen Oberschicht. Hier in Amerika lassen sich verheiratete Frauen nämlich mit niemand anderem als ihrem Mann ein und verheiratete Männer mit niemand anderem als ihrer Frau. Hast du das begriffen? Es wird keine Liebhaber für dich oder für mich geben, solange diese Farce von einer Ehe anhält.«
Bevor Jessica noch antworten oder protestieren konnte, ließ Wolfe sie los und ging zu den beiden Brüdern hinüber. Von einem Moment auf den anderen verstummte die Musik.
»Gentlemen«, sagte Wolfe mit trügerischer Gelassenheit, »lassen Sie sich nicht von dem Äußeren dieser Dame täuschen. Lady Jessica hat mich zur Heirat gezwungen, indem sie behauptet hat, ich hätte sie verführt. Das war eine Lüge. Sie ist in diesem Moment noch genauso jungfräulich wie im Augenblick ihrer Geburt. Und doch sind wir miteinander verheiratet. Die kleine Nonne hier will es nicht anders, denn sie weiß genau, daß ich mich niemals an ihr vergreifen würde. Sie glaubt nämlich, daß sie für immer und ewig ein kleines verzogenes Kind bleiben kann, das so tun kann, als wenn es verheiratet ist. In Wirklichkeit fehlt ihr das Zeug zu einer erwachsenen Frau.«
Die Stille, die auf Wolfes Worte folgte, war so vollkommen, daß alle zusammenzuckten, als draußen plötzlich der Wind aufheulte. Wolfe schaute erst Rafe und dann Reno an und fuhr dann mit derselben leisen, mühsam beherrschten Stimme fort.
»Erfreuen Sie sich an Jessicas freundlichem Lächeln, ihrem unbeschwerten Gelächter, an den lebhaften Unterhaltungen mit ihr, aber fallen Sie bloß nicht auf sie herein. Sie ist nichts weiter als eine verzogene Göre, die beim kleinsten Sturm schon anfängt zu wimmern und nicht mal allein Feuer machen kann - im Kamin nicht und im Bett sowieso nicht. Warten Sie lieber auf die Richtige, auf jemanden wie Willow, eine richtige Frau und kein kleines Mädchen; eine Frau, die stark genug ist, um Ihnen zur Seite zu stehen, wenn Not am Mann ist; die sinnlich genug ist, um die Flamme der Leidenschaft in Herz und Verstand zu entfalten; und die großzügig genug ist, Ihnen Kinder zu schenken, trotz der Gefahren für ihren eigenen Leib und ihr Leben. Diese Frau wird Jessica niemals sein.«
Wolfe drehte sich auf dem Absatz um und ging zur Vordertür. Das Heulen des Windes verstärkte sich, als die Tür aufging. Ohne seiner Frau noch einen Blick zuzuwerfen oder ein Wort zu sprechen, verschwand der Einsame Baum in der windgepeitschten Nacht.
12
In dieser Nacht fand Jessica noch weniger Schlaf als gewöhnlich. Wolfes nüchterne Aufzählung all der Unzulänglichkeiten, die sie als Frau hier draußen im Westen unter Beweis gestellt hatte, ging ihr nicht aus dem Sinn. Seine Worte trafen sie auf eine Weise, die sie kaum beschreiben konnte, und ließen sich nicht mit einem Schulterzucken abtun. Alles, was ihr jetzt noch übrigblieb, war weiter durchzuhalten, die Schmerzen und Erinnerungen abzuschütteln und sie in die abgelegenen Winkel ihres Bewußtseins zu verdrängen, die sie nur in ihren Alpträumen betrat.
Doch in dieser Nacht wollte es Jessica einfach nicht gelingen, sich
zusammenzureißen. Sie spürte, wie ihre sorgfältig errichteten inneren Verteidigungswälle zusammenbrachen wie Sandburgen unter der anrückenden Flut.
Als Wolfe endlich ins Zimmer kam, sich schweigend auszog und unter die Decke kroch, war Jessica noch immer hellwach. Sein Duft wehte zu ihr herüber - Kiefernnadeln und frischgefallener Schnee. Von seinem Haar ging der Geruch des Windes aus, der über das Land fegte.
Jessica verhielt sich vollkommen still und wartete darauf, daß Wolfe etwas zu ihr sagte. Sie war sicher, daß er genau gespürt hatte, daß sie noch nicht schlief. Als er sich mit dem Rücken zu ihr auf die Seite drehte, schloß sie die Augen und dankte dem Schicksal, daß sie sich heute abend nicht noch mehr Boshaftigkeiten von ihm anhören mußte.
Aber sie war nicht wirklich dankbar. Lieber hätte sie eine neue Tirade über sich ergehen lassen, als halb wahnsinnig vor Bedauern und Einsamkeit hier im Bett zu liegen und sich das triumphierende Geheul des Windes anhören zu müssen. Sie zitterte vor Kälte und nicht einmal die Felldecke konnte sie wärmen. Sie wartete darauf, daß der Schlaf sie von ihren Qualen erlöste.
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