Im Strudel der Gefuehle
sie vollkommen hilflos war, niemand etwas antun wollte. Es war Wolfe, der sie festhielt. Es war Wolfe, der zu ihr sprach. Wolfe, dem sie seit dem ersten Moment ihrer Freundschaft wie keinem anderen vertraut hatte. Wolfe, der sie niemals so verletzen würde, wie ihre Mutter verletzt worden war. Wolfe, der sie vor den Alpträumen und dem namenlosen Grauen beschützte. Wolfe, der sie vielleicht haßte, sie aber niemals vergewaltigen würde.
Jessica erschauerte bis ins Mark und hörte auf, sich zu wehren.
»So ist es besser, Mylady. Ich weiß ja selbst, daß meine Berührung Euch zuwider ist, aber unter diesen Umständen läßt es sich nun einmal nicht vermeiden. Ihr wart es schließlich, die unbedingt heiraten wollte.«
Jessicas Augen weiteten sich ungläubig. Sie drehte den Kopf hin und her und versuchte auf diese Weise, Wolfes Hand abzuschütteln. Einen Augenblick später nahm er die Hand von ihrem Mund. Sie befeuchtete die Lippen und versuchte zu sprechen. Beim dritten Anlauf gelang es ihr endlich.
»Es macht mir nichts aus, wenn du mich berührst«, flüsterte sie. »Das mußt du mir glauben, Wolfe.«
»Ihr könnt sehr überzeugend lügen, Schwester Jessica, aber Euer Körper verrät, was Ihr wirklich empfindet«, sagte Wolfe mit beißendem Humor. »Wenn ich es zugelassen hätte, hättet Ihr geschrien und mir die Augen ausgekratzt. So benimmt sich wohl kaum ein Mädchen, dem es gefällt, wenn ein Mann sie berührt.«
»Du verstehst mich nicht. Ich war ganz in Erinnerungen versunken, und dann hast du mich so plötzlich gepackt, daß ich nicht mehr wußte, wo die Alpträume aufhörten und die Wirklichkeit anfing.«
»Spar dir deine Lügen für die Morans. Die glauben sowieso, daß du wirklich so bist, wie du dich nach außen hin gibst. Aber mich kannst du nicht an der Nase herumführen.«
Er ließ sie los und drehte sich auf die Seite, als ob er sich davor ekelte, sie noch einen Augenblick länger zu berühren.
»Wolfe«, flüsterte sie heiser und streckte die Hand nach ihm aus. »Wolfe, du bist der einzige, dem ich jemals vertraut habe. Bitte überlaß mich nicht dem Wind. Er wird mir genauso den Verstand rauben wie ihr.«
Als er ihre kalte, zitternde Hand auf seinem Arm spürte, zuckte er beinahe so zusammen wie beim verzweifelten Klang ihrer Stimme.
»Es ist doch nur der Wind«, brummte er.
»Nein«, flüsterte Jessica. »Er hat ihr den Verstand geraubt. Hörst du nicht, wie sie schreit? Hör doch! Das ist der Schrei einer Frau, die zur ewigen Verdammnis verurteilt ist.«
Ein kalter Schauer lief Wolfe den Rücken hinunter. Das langsame Zittern, von dem Jessicas ganzer Körper geschüttelt wurde, übertrug sich von ihren kalten Fingern auf seinen Arm. Trotz seiner Wut konnte er ihr inbrünstiges Flehen nicht ignorieren; genausogut hätte er versuchen können, über seinen eigenen Schatten zu springen. Er ergriff ihre Hand und versuchte, ihre Finger zu wärmen.
»Jessi... es ist doch nur der Wind, weiter nichts.«
Doch sie hörte Wolfes Worte nicht. Alles, was sie hörte, war das gespenstische Heulen aus den Tiefen ihrer Erinnerung. Mit weit aufgerissenen Augen lag sie bewegungslos im Bett. Von Zeit zu Zeit überlief sie ein Zittern. Sie wußte genau, daß sich ihre Mutter jeden Moment vom Bett ihres Vaters erheben und durch die leeren Korridore schleppen würde, daß sie heulend und stöhnend in die schrecklichen Gesänge des Windes einstimmen würde.
»Jessi?«
Nur ihre hektischen, flachen Atemzüge antworteten ihm. Vorsichtig drückte Wolfe sie enger an sich. Da sie vor Anspannung beinahe vollkommen bewegungsunfähig war, wehrte sie sich nicht gegen seine Umarmung. Sie lag einfach nur da und zitterte wie eine bis zum Zerreißen gespannte Klaviersaite. Er hatte dieses Zittern schon einmal an ihr erlebt. Damals hielt er sie in einem duftenden Heuschober fest umklammert, während draußen ein wildes Gewitter tobte. Damals hatte sie vor Angst geweint.
Jetzt hätte er alles darum gegeben, sie weinen zu sehen.
Aber nichts geschah. Sie lag einfach nur zitternd da, bis sie endlich den Punkt überschritten hatte, an dem sie ihre Kräfte endgültig verließen. Als Wolfe erkannte, daß es ihm gelungen war, Jessica in den völligen Zusammenbruch zu treiben, spürte er keine Freude. Hätte es in seiner Macht gestanden, hätte er alles, was zwischen ihnen vorgefallen war, in diesem Moment ungeschehen gemacht. Niemals war es seine Absicht gewesen, ihr Selbstbewußtsein so tief zu untergraben.
»Ist ja schon
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