Im Strudel der Gefuehle
unwillkürlich um das Medaillon mit Wolfes Bild schlossen, wußte sie, daß der Wind nicht länger Macht über sie besaß. Sie würde niemals sein furchterregendes Jammern gelassen ertragen können, aber dafür würde sie auch nicht mehr vor Angst bis ins Mark erstarren. Sie hatte endlich begriffen, worin der Unterschied zwischen der Wirklichkeit, ihren Alpträumen und den grauenvollen Erinnerungen eines kleinen Kindes bestand.
Und das verdanke ich Wolfe.
Als Jessica an die vergangene Nacht dachte, spürte sie einen angenehmen Kitzel, der ein warmes Gefühl hinterließ. Sie hätte niemals zu träumen gewagt, daß der Körper einer Frau zu solcher Leidenschaft fähig war. Sie glaubte nicht mehr daran, daß ein Mann seine Frau nach dem ersten Kind dazu zwingen mußte, sich ihm noch einmal bereitwillig hinzugeben. Die Risiken von Schwangerschaft und Geburt waren nach wie vor nicht zu unterschätzen, aber genausowenig ließen sich die damit verbundenen Augenblicke der Leidenschaft leugnen.
Und sie kannte sie jetzt genau. Wolfe hatte ihr gezeigt, was alles möglich war. Dann hatte er sie in seinen Armen gehalten, bis die letzte Freudenträne vergossen und das letzte Zittern von ihr gewichen waren.
Wolfe hat mir so viel geschenkt, und ich ihm... gar nichts.
»Wie lange es dieses Jahr dauert, bis der Frühling endlich kommt«, seufzte Willow und schaute aus dem Fenster.
Jessica blickte an Willow vorbei. Das erste Gras war inmitten des schmelzenden Schnees schon zu erkennen. Büsche und Bäume erstrahlten in frischem Grün. Der Bach im Tal hinter der Scheune plätscherte trotz des eisigen Windes mit frischer Energie.
Weder die eisige Kälte, die sich immer noch im Boden hielt, noch der wilde Schrei des Windes hatten Jessica in der vergangenen Nacht etwas anhaben können.
Sie hatte erfahren, was es hieß, zu brennen, ohne sich zu verbrennen, und war anschließend in Wolfes Armen mit dem Gesicht auf der heißen Haut seiner Brust eingeschlafen. Sein herber männlicher Duft und sein Geschmack auf ihrer Zunge waren in allen ihren Träumen gegenwärtig und hatten ihre Ängste zum Schweigen gebracht.
Nähe. Herr im Himmel. Jessica erschauderte, als sie an letzte Nacht zurückdachte. Bis gestern nacht hatte ich nicht einmal eine Ahnung, was Nähe wirklich bedeutet.
»Jessi?«
Sie blinzelte verstört und bemerkte dann, daß Willow neben ihr stand.
»Ja?«
»Hör auf, über gestern abend nachzugrübeln.«
Einen Moment lang dachte Jessica, daß Willow erraten hatte, was sich in der vergangenen Nacht hinter den verschlossen Türen ihres Schlafzimmers abgespielt hatte. Eine tiefe Schamesröte überlief ihr Gesicht, bevor ihr einfiel, was gestern abend außerdem noch passiert war -Wolfes verletzende Aufzählung ihrer Fehler und Schwächen als Frau vor all den anderen.
»Wolfe hat sich heute morgen bei uns allen entschuldigt«, fuhr Willow fort, »also nehme ich an, daß er sich letzte Nacht schon bei dir entschuldigt hat.«
»Von ganzem Herzen«, sagte Jessica und war sich sicher, daß sie dabei von neuem rot wurde.
Willow rang sich ein Lächeln ab, das ihr sichtliche Mühe bereitete. »Das gehört zu den Freuden der Ehe. Genauso leidenschaftlich Reue zu zeigen, wie man sich vorher gestritten hat.«
»Streitest du dich manchmal mit Caleb?«
»Du klingst so überrascht. Du mußt doch inzwischen selbst gemerkt haben, daß mein Mann so stur wie ein alter Maulesel sein kann.« Willow lächelte scheu. »Selbstverständlich streiten wir uns.«
»Du bist natürlich kein bißchen stur«, sagte Jessica trocken.
»Natürlich nicht«, sagte Willow mit gespielter Unschuld. »Ich bin eine empfindliche, kleine Mimose. Wie könnte ich da jemals so dumm sein, mich mit dem breitschultrigen Revolverhelden, den ich geheiratet habe, auf einen Streit einzulassen?«
Jessica lachte. »Ach, wenn Caleb dich jetzt hören könnte.«
»Ja. Wenn.«
Die Besorgnis, die sich hinter Willows unbekümmerten Worten verbarg, entging Jessica nicht.
»Stimmt etwas nicht?«
»Der Schneesturm. Die Kälte. Das Vieh kann jeden Moment mit dem Kalben beginnen. Caleb sagte gestern abend, daß auch die Pferde kurz vor dem Fohlen stehen.«
»Ich weiß. Wolfe hat mich geweckt, bevor er gegangen ist. Er sagte etwas davon, daß die Tiere sich vom Sturm vorwärts treiben lassen. Er macht sich Sorgen um die schwangeren Stuten.«
»Wir hatten keine Zeit, die Weide für die Pferde abzuzäunen«, sagte Willow stirnrunzelnd, als sie daran dachte, wie weit und endlos
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