Im Strudel der Gefuehle
anderen Worten, ich bin nicht ganz so nutzlos, wie Wolfe euch alle glauben machen wollte?«
»Was für ein Unfug! Ich hätte Wolfe für sein Benehmen an den
Ohren packen und schütteln können. Du kannst genausowenig an den Umständen deiner Geburt etwas ändern wie er an seinen.«
Jessica lächelte grimmig und schwieg.
»Was mich überrascht hat«, sagte Willow, »war, daß du nicht über die, äh... körperliche Seite der Ehe Bescheid gewußt hast. Ich hatte einfach angenommen, daß du in diesen Dingen etwas zurückhaltend bist und sie peinlich findest. Aber wenn es um eine Geburt geht, bist du ein eher praktisch veranlagter Mensch, oder?«
»Ich habe die ersten neun Jahre meines Lebens auf einem Landsitz verbracht. Hunde, Schafe, Katzen, Pferde, Schweine, Kühe, Kaninchen - alles, was dazugehört. Die haben so regelmäßig Junge bekommen, wie morgens die Sonne aufgeht.«
»Besonders die Kaninchen?« sagte Willow grinsend.
Jessica lachte. »Ob Regen oder Sonnenschein, auf die kleinen Tierchen konnte man sich immer verlassen.«
»Ich bin wirklich froh, daß du nicht bei Hofe gelebt hast«, gestand Willow. »Ich bin selbst noch nie bei einer Geburt dabeigewesen, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß ich dich brauchen werde; und wenn es nur dazu ist, mich zu beruhigen oder dich um das Baby zu kümmern, wenn ich selbst dazu nicht in der Lage bin.«
Jessicas entschlossenes Lächeln wäre beinahe verflogen. Sie hatte nie das Glück gehabt, bei einer erfolgreichen Geburt dabeizusein, aber das wollte sie jetzt nicht erwähnen. Alles, was in diesem Augenblick zählte, war, daß Willow nicht den Mut verlor. Das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren irgendwelche Geschichten über schwierige Geburten und tote Babys.
»Stütz dich auf mich, während du dir die Röcke und das Mieder ausziehst«, sagte Jessica.
Jessica arbeitete zügig, doch ohne Eile. Sie wusch Willow und zog ihr ein sauberes Nachthemd an. Das Bett hatte sie vorbereitet, indem sie das alte Bettzeug abgezogen, eine Plane aus Segeltuch über die Matratze gelegt und dann frische Laken drübergelegt hatte. Als Willow unbeholfen ins Bett kletterte, kündigte sich bereits die nächste Wehe an, die ihren ganzen Körper erfaßte.
Es bestand kein Zweifel daran, daß die Wehen jetzt tatsächlich mit ganzer Kraft eingesetzt hatten.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Jessica und zog Willow die Bettdecke bis zum Kinn. »Wenn du einen Gewehrschuß hörst, mach dir keine Sorgen. Ich benachrichtige nur die Männer.«
»Nein, es geht mir bestens. Ich will sie nicht von der Arbeit abhalten.«
»Willow, was glaubst du, würde Caleb mit jemandem machen, der ihn von dir in einem Moment der Gefahr fernzuhalten versuchte?«
Tränen schimmerten in Willows Augen. »Aber die Stuten brauchen ihn jetzt dringender als ich.«
»Wolfe wird sich um die Stuten kümmern. Er liebt Pferde über alles.«
»Aber dich noch mehr.«
Jessica lächelte traurig. »Der Einsame Baum liebt mich nicht. Er kümmert sich um mich und weiter nichts; und selbst das ist noch mehr, als ich verdient habe.«
»Unfug«, sagte Willow.
»Nein. Es ist die reine Wahrheit. Alles, was Wolfe gestern abend über mich gesagt hat, ist wahr. Ich habe Wolfe gegen seinen Willen zur Heirat gezwungen. Er wollte eine Frau aus dem Westen, so wie dich. Und was er bekommen hat, ist eine Aristokratin, die sich nicht einmal allein die Haare kämmen kann.«
Jessica lächelte, als sie den Ausdruck des Entsetzens in Willows Gesicht sah. »So sieht es nun einmal aus«, sagte sie. »Die Haarbürste war in meiner Hand so fehl am Platze wie eine Goldmünze in der Hand eines Bettlers.«
»Oje«, flüsterte Willow.
»Aber ich lerne ständig dazu, was ich zum großen Teil dir verdanke.« Jessica strich mit der Hand über Willows Haar. »Ruh dich jetzt aus. Du brauchst all deine Kraft, um Calebs Baby zur Welt zu bringen.«
Willow dreht sich um und schaute aus dem Fenster. Außer den Bäumen, die vom Wind hin und her geschüttelt wurden, war draußen nichts zu erkennen.
»Sie werden den Gewehrschuß nicht hören können«, sagte sie ruhig. »Der Wind kommt aus der anderen Richtung.«
Im stillen stimmte Jessica ihr zu. Doch sie ging trotzdem hinaus auf die Veranda. Der Wind riß ihr die Klinke aus der Hand und schmetterte die Tür mit aller Kraft gegen die Wand. Die Luft war eisig. Zitternd hob sie den Karabiner, der ein Geschenk zu einer Hochzeit gewesen war, die niemals hätte stattfinden dürfen. Die goldenen
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