Im Strudel der Gefuehle
zu Wolfe kann ich nicht mit einer Hand schießen, während ich mich mit geschlossenen Augen aus dem Sattel hängen lasse«, sagte Jessica nüchtern. »Ich bin mit der Schrotflinte besser bedient. Alles, was ich tun muß, ist in die richtige Richtung zu zielen und abzudrücken.«
»Na gut, Herzchen. Die Geburten und der verrückte Sturm haben dafür gesorgt, daß jedes Wolfsrudel zwischen der Ranch und dem Paß in einen regelrechten Blutrausch geraten ist. Da draußen treiben sich bestimmt vierzig oder fünfzig Wölfe herum. So was habe ich noch nie vorher gesehen. Wenn du einen abschießt, kommen gleich drei neue an seiner Stelle auf dich zu.« Er gab Jessicas Pferd einen Klaps. »Bring sie nach Hause, Luzifer.«
Luzifer machte sich auf den Weg in Richtung Stall, gefolgt von einer Stute, die beinahe so groß war wie er selbst. Das Fohlen versuchte seiner Mutter zu folgen, gab dann aber auf und blieb still liegen, während der eisige Wind unbekümmert weiterheulte.
Sobald Luzifer den dürftigen Schutz der Bäume verlassen hatte, stob überall der Schnee in dichten Wolken auf und ließ sich stechend auf Jessicas nackter Haut nieder. Der Wallach zerrte an den Zügeln und sträubte sich, als wollte er noch einmal versuchen, sie abzuwerfen.
»Komm bloß nicht auf dumme Gedanken«, murmelte Jessica und zog die Zügel straffer.
Plötzlich war sie von Wölfen umgeben.
Mit einem Angstschrei ließ sie die Zügel fallen, hob das Gewehr und schoß auf einen der flinken, schwarzen Schatten. Im selben Moment schlug Luzifer mit den Hinterbeinen aus, und die große braune Stute ging auf einen der Wölfe los, der sofort zurückwich. Dabei kam die Stute langsam näher, bis sie direkt neben Jessicas Wallach stand.
Instinktiv versuchten die Pferde die empfindlichen Sehnen in ihren Fußgelenken zu schützen, indem sie sich eng aneinanderdrängten und sich Seite an Seite den Wölfen stellten. Jessica versuchte Luzifer nicht dazu zu zwingen, zum Stall zurückzulaufen; auch sie wußte, daß es das Pferd niemals bis zum sicheren Stall schaffen würde, bevor die Wölfe seine Fesseln packen und es zu Boden reißen würden.
Während Luzifer nach den Wölfen auskeilte, die so unvorsichtig waren, sich nahe genug heranzuwagen, versuchte Jessica, im Sattel zu bleiben, das Fohlen gut festzuhalten und gleichzeitig die Schrotflinte nachzuladen. Doch auch als es ihr gelang, eine weitere Patrone nachzuschieben, wußte sie schon, daß sie verloren war.
Es waren einfach zu viele Wölfe.
Eine unheimliche innere Ruhe überkam sie, als sie das Gewehr ein weiteres Mal abfeuerte. Sie wußte genau, daß das ein Rennen gegen die Zeit war, in dem sich herausstellen mußte, ob sie nachladen konnte, bevor sich die Wölfe erneut zusammenfanden und sie einkreisten. Wenn sie dieses Rennen verlor, bestand ihre einzige Hoffnung darin, daß einer der Männer das unverkennbare Dröhnen der Schrotflinte gehört hatte und sie rechtzeitig finden konnte.
Sie zog den Abzug durch. Die Wölfe stoben auseinander, als eine Ladung Schrot auf sie herunterprasselte wie Hagelkörner im Sturm. Einige von ihnen sprangen knurrend beiseite und schnappten dabei wild um sich, als verfolgte sie ein wütender Schwarm Bienen. Während Jessica sich bemühte, nicht mit dem Fohlen auf dem Schoß aus dem Sattel zu rutschen, gelang es ihr, das Gewehr noch einmal nachzuladen, bevor die Wölfe ihren Mut wiedergefunden hatten.
Als sie das Gewehr ansetzte, begann ihr das Fohlen langsam wegzurutschen. Verzweifelt hielt sie es fest, während sie versuchte, auf den Wolf zu zielen, der offensichtlich der Anführer der Meute war - ein großes, schiefergraues Männchen, das klug genug war zu erkennen, Welche Gefahr die Schrotflinte für ihn darstellte, und jedesmal rechtzeitig beiseite sprang, wenn sich ihr Lauf auf ihn richtete.
Noch bevor Jessica die Schrotflinte ein weiteres Mal ansetzen konnte, stürmte das Männchen auf sie zu. Doch dann stolperte es plötzlich, begann sich zu überschlagen und blieb regungslos liegen. Im selben Moment, als sie noch einmal inmitten des wütend tobenden Sturms Gewehrschüsse hörte, riß es ein weiteres Tier herum, das bewegungslos am Boden liegenblieb.
Drüben am Waldrand nahm Wolfe den Wolf ins Visier, der den Pferden am nächsten war, und drückte ab. Trotz der Angst, die ihn fest im Griff hatte, war seine Hand ruhig und zielsicher. Mit einem unbarmherzigen Kugelhagel trennte er die Jäger von ihrer Beute.
Zu viele verdammte Wölfe, dachte er grimmig.
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