Im Strudel der Gefuehle
sie schuften wie eine Küchenmagd oder ein Stalljunge. In London unterhielt sie ihre Gäste mit geistreicher Konversation und ihrem entzückenden Lächeln. In Amerika hatte sie nichts zu lachen. Was gab es auch schon zu lachen, wenn sie beinahe ums Leben gekommen wäre?
Jessi, was habe ich dir nur angetan?
Doch auf Wolfes stille, erbitterte Frage gab es nur eine Antwort. Es wäre einzig und allein seine Schuld gewesen, wenn dieses Mädchen, das ihm wie niemandem sonst auf der Welt vertraute, beinahe ums Leben gekommen wäre.
Ohne einen Laut ging Wolfe in die Box. Er ergriff die Schrotflinte, entfernte die Patrone aus der Kammer und sicherte die Waffe wieder. Als Jessica das leise Klicken hörte, wachte sie auf. Erschreckt fuhr sie in die Höhe und griff instinktiv nach der Schrotflinte, die sie neben sich abgelegt hatte.
»Es ist alles in Ordnung, Jessi. Die Wölfe sind geflüchtet.«
Sie blinzelte verwirrt und lächelte dann verschlafen, als sie sah, daß es Wolfe war. »Alle außer einem, und das ist mein liebster Wolfe. Bei ihm bin ich in Sicherheit.«
Ein bitterer Schmerz, den Wolfe nicht genau beschreiben konnte, traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es war eine Qual, die er noch nie zuvor erlebt hatte. Jessica vertraute ihm ohne Vorbehalte, und doch hatte er nichts als Unglück und Gefahr über sie gebracht.
»Meine Dummheit hat dich beinahe das Leben gekostet, Elfchen. Wenn ich nur daran denke, daß du um ein Haar von Wölfen zerfleischt worden wärst...«
»Du bist ein ausgezeichneter Schütze«, murmelte sie verschlafen.
»Ich bin ein Narr.«
Obgleich Wolfes Stimme rauh klang, war er sehr sanft, als er Jessica auf den Arm nahm. Als ihr klar wurde, daß er vorhatte, sie ins Haus zu tragen, wurde sie endgültig wach.
»Warte. Du hast ja noch nicht einmal das Stutenfohlen bewundert«, protestierte sie. »Mit ihr können wir eine wundervolle Herde heranziehen. Ich habe noch nie eine so edle Kopfform bei einem Neugeborenen gesehen oder eine so breite Brust. Ist sie nicht wundervoll? In ein paar Jahren wird sie...«
»Zum Teufel mit der grauen Stute und ihrem Fohlen«, fuhr ihr Wolfe ungeduldig dazwischen. »Begreifst du denn nicht? Du hättest da draußen sterben können!«
Jessica blinzelte verwirrt. »Genau wie du.«
»Das ist etwas anderes. Jetzt ist Schluß, Jessi.«
»Wie bitte?«
»Ich bringe dich nach London zurück, sobald die Pässe frei sind.«
»Du willst wohl der Kutsche noch eine zweite Gelegenheit geben; ist es das?«
»Wovon redest du?«
Jessica lächelte und streichelte Wolfes Kinn. »Ich wäre in London beinahe von einer Kutsche überrollt worden, weißt du das denn nicht mehr?«
Wolfes Miene entspannte sich ein wenig. »Ich erinnere mich genau.«
»Das solltest du auch. Du hättest den Kutscher beinahe zu Tode geprügelt.«
»Ich hätte den betrunkenen Kerl am liebsten umgebracht.«
»Von seiner Sorte gibt es noch mehr«, erklärte Jessica geduldig.
»Und?« »Willst du mir weismachen, daß ich in London sicherer bin als hier?«
Jessicas Zungenspitze hinterließ eine heiße Spur auf Wolfes Kinn.
»Darum geht es nicht«, sagte er heiser.
»Worum geht es dann?«
»Als ich versucht habe, dich zu der Einsicht zu zwingen, daß du nicht für ein Leben hier draußen im Westen geeignet bist, habe ich dich in große Gefahr gebracht. Du bist eine schottische Aristokratin und verdienst das luxuriöse Leben, an das du gewöhnt bist und auf das man dich seit deiner Kindheit vorbereitet hat.«
Mitten im Satz trat Wolfe hinaus ins Freie. Überall um sie herum glänzte der Schnee im hellen Mondlicht. Obwohl der Boden noch stellenweise gefroren war, hatte der Schnee bereits zu tauen begonnen. Die Luft war lau und mild.
»Unfug«, sagte Jessica gähnend. »Du wärst in England nicht glücklich.«
»Darüber würde ich mir an deiner Stelle nicht den Kopf zerbrechen.«
Jessica wurde in Wolfes Armen auf einmal ganz still. Ihre Müdigkeit wich einer Welle des Unbehagens.
»Was willst du damit sagen?« flüsterte sie.
»Ich werde England wieder verlassen, sobald unsere Ehe für ungültig erklärt ist.«
»Ich habe aber nicht mein Einverständnis...«
»Das brauchst du auch nicht«, unterbrach sie Wolfe grimmig. »Ich bin derjenige, der die Annullierung beantragen wird.«
»Aber warum denn?« flüsterte sie. »Was habe ich denn getan, daß du mich so haßt?«
»Ich hasse dich nicht. Ich habe dich nie gehaßt, nicht einmal damals, als ich dich am liebsten erwürgt hätte, weil
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