Im Strudel der Gefuehle
sie zu ihm kam. Es war beinahe so, als hätte sie verstanden, daß sie bei ihm in Sicherheit war.«
Willow legte das Fernglas beiseite. »Ich habe Ethan erst vor ein paar Minuten gestillt. Wenn er zu weinen anfängt, bevor ich zurückkomme ...«
»Nein.«
Diese unmißverständliche Antwort hatte Willow nicht erwartet.
»Du mußt bei deinem Baby bleiben«, sagte Jessica streng. »Ich werde mich um die Stuten kümmern.«
»Das kann ich nicht zulassen. Die Kälte ist zu gefährlich.«
»Deshalb sollst du ja bei Ethan bleiben. Wenn dir etwas zustößt, wird das Baby sterben. Wenn mir etwas zustößt...« Jessica zögerte und sprach dann die bittere Wahrheit ohne einen Hauch von Reue aus, «... trifft es niemanden außer mir.«
Willow faltete die Hände und versuchte, die Ruhe zu bewahren. »Jessi, du darfst da nicht hinausgehen. Du weißt ja nicht, wie schnell man bei diesem eisigen Wind aus den Bergen die Orientierung verliert.«
»Mit der Kälte und dem Sturm kenne ich mich aus. Ich habe zusehen müssen, wie Schafe im Stehen auf der Weide erfroren und Brunnen bis zum Grund zugefroren sind.«
Ein ungläubiger Ausdruck trat in Willows große, haselnußbraune Augen. »Ich wußte gar nicht, daß es in England so kalt werden kann.«
»Wird es auch nicht. Ich rede von Schottland. Hast du Winterkleidung, die mir passen könnte?«
»Jessi...«
»Ja oder nein?«
»Im Schlafzimmer. Komm, ich zeige sie dir.« Willow lächelte gequält. »Ein paar von den Sachen dürftest du vielleicht sogar wiedererkennen. Caleb hat sie von Wolfe bekommen. Sie haben einmal dir gehört. Über der Vordertür hängt eine Schrotflinte. Die nimmst du am besten mit. Ich hole inzwischen Munition.«
Ohne Zeit zu vergeuden, machte sich Jessica auf den Weg. Sie war von oben bis unten in Kleidungsstücke aus Wolle und Leder vermummt, die ihr sehr bekannt vorkamen. Außerdem trug sie einen von Willows Pelzmänteln, der eine Kapuze hatte. Statt eines Rocks hatte sie sich eine Hose übergezogen, und in der Hand hatte sie die Schrotflinte. Ihre Taschen sackten unter dem Gewicht der Munition nach unten.
Das einzige Pferd auf der ganzen Koppel, das noch nicht halb erfroren zu sein schien, war ein großer, schwarzer Wallach. Er sträubte sich, als sie versuchte, ihn zu satteln und aufzuzäumen. Nachdem sie aufgestiegen war, machte er zwei Schritte und versuchte dann, sie wieder abzuwerfen. Schließlich gab er jedoch nach und trabte mit angelegten Ohren von der Koppel. Als sie in den Sturm hinausritt, dankte sie im stillen Wolfe dafür, daß er darauf bestanden hatte, daß sie die Arbeiten eines Stallburschen verrichtete. Nur so hatte sie gelernt, wie man mit einem widerspenstigen Pferd umging.
Noch bevor Jessica auf der Weide ankam, sah sie schon die ersten Wölfe. Sie ließen sich neugierig den Wind um die Nase wehen und schienen ganz genau zu wissen, wohin sie wollten. Sie folgte ihrer Eingebung und ritt ihnen hinterher. Sie verlor die Fährte auf halben Weg zwischen dem Wäldchen und dem Haus. Hier unter den Bäumen war der Wind nicht ganz so gnadenlos, auch wenn der Unterschied kaum spürbar war.
Gerade als Jessica die Suche aufgeben und zur Weide zurückreiten wollte, hörte sie von weitem das Wiehern eines Pferdes, das genau wittert, daß es in Gefahr ist. Sie riß den schwarzen Wallach herum und galoppierte in die Richtung, aus der das Wiehern gekommen war. Sie duckte sich unter Ästen hindurch und hielt sich krampfhaft am Sattelknauf fest, als das Pferd einen großen Satz über eine Bodensenke machte, wo die Schneewehen besonders hoch waren.
Zuerst sah sie nur die Wölfe. Dann erkannte sie die graue Stute, die sich auf den Hinterbeinen aufzurichten versuchte, um sich den langsam näher kommenden Jägern zu stellen. Jessica hob die Schrotflinte und feuerte auf die Wölfe. Sie wichen den Kugeln aus, kehrten aber Sekunden später wieder zu der Stute zurück. Jessica gab einen Schuß nach dem anderen ab, wobei sie trotz ihrer dicken Handschuhe so gut es ging nachlud.
Nach weiteren Schüssen zogen sich die Wölfe zurück und verschwanden im Schneegestöber. Jessica stieg ab und ging zu Wolfes grauer Stute hinüber. Das Pferd zuckte zusammen und legte die Ohren an, aber letztendlich war es zu beschäftigt, die Geburt hinter sich zu bringen, um sich gegen Jessicas Hände zu wehren, die ihr zu Hilfe kamen.
Sobald das Fohlen auf der Welt war, nahm Jessica es auf den Schoß, damit der eisige Boden ihm nicht gleich alle Wärme und Lebenskraft
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