Im Strudel der Gefuehle
sehen konnte.
Etwas Grauenhaftes.
Ein kalter Schauer überlief Wolfe bei dem Gedanken, welche Ängste Jessica während des Überfalls ausgestanden haben mußte. Trotz seines Vorsatzes, nicht eher Ruhe zu geben, bis sie einer Annullierung zugestimmt hatte, konnte er nicht anders, als sie fester an sich zu drücken. Beruhigend wiegte er sie hin und her. In diesem Moment war sie zu schwach, um selbst auf sich achtzugeben.
»Jessi«, flüsterte er ihr leise ins Ohr. »Laß mich gehen. Ich will dir nicht mehr weh tun müssen.«
Er hätte schwören können, daß sie ihn gehört hatte, doch sie gab keine Antwort.
»Ist es das, was du willst?« fragte er ärgerlich. »Wer sich keine Blöße gibt, kann nicht verletzt werden?«
Jessica gab keine Antwort und rührte sich nicht. Es war, als ob sie kein einziges seiner Worte gehört hätte.
»Na gut, wie du willst«, sagte Wolfe. Seine Stimme klang, als hätte er alle Hoffnung aufgegeben. »Wer sich keine Blöße gibt, kann auch nicht verletzt werden.«
4
Hinter Wolfes Haus erhoben sich steil die Rocky Mountains. Ihre eisbedeckten Gipfel waren von Wolken verhüllt und ihre breiten Schultern vom Wechsel der Jahreszeiten gezeichnet. An ihrem Fuße endete die Prärie, die Jessica zu lieben gelernt hatte, als sie zusammen mit Lord Stewart hier auf der Jagd war. Wolfes Haus hatte sie noch nie zuvor gesehen, weil Lord Stewart lieber weiter nördlich in Wyoming auf die Jagd ging. Sie hatte sich Wolfes Haus nicht ganz so groß vorgestellt. Sie wußte, daß die meisten Amerikaner auf Luxus keinen besonderen Wert legten und sich keine großzügigen Landhäuser wie die von Lord Stewart leisten konnten.
Auch hatte sie keine Vorstellung davon, auf welch engem Raum man in einem kleinen Haus zusammen auskommen mußte. Wolfe dagegen wußte genau, was sie erwartete. Er hatte sich regelrecht darauf gefreut, die Enttäuschung auf ihrem Gesicht zu sehen, und insgeheim darauf gehofft, daß er um so schneller den Kampf um die Annullierung ihrer Ehe gewinnen würde.
»Dein Haus ist ja ganz schön, aber...« Jessicas Stimme erstarb.
»Aber?« erkundigte sich Wolfe. Er wußte genau, daß er Jessica mit seiner Frage in die Enge trieb.
»Es gibt nur ein einziges Schlafzimmer.«
Voller Schadenfreude zog er seine schwarzen Augenbrauen in die Höhe. »Bist du da sicher?«
»Allerdings«, sagte Jessica und fiel in den mürrischen Tonfall zurück, den sie so tapfer zu unterdrücken versucht hatte. »Und in diesem Schlafzimmer steht nur ein einziges Bett.« - Er nickte.
Jessica versuchte, ihrem Lächeln einen spielerisch herausfordernden Ausdruck zu verleihen, als sie ihn fragte: »Willst du etwa dein Lager unten am Fluß bei den Vögeln aufschlagen?«
»Warum sollte ich das tun? Das Bett ist groß genug für zwei.«
»Wolfe, es ist mein Ernst.«
»Meiner auch. Ich bin kein Aristokrat, Mylady. Ich bin nur ein Halbblut ohne Rang und Namen. In Amerika haben die einfachen Leute einen interessanten Brauch - Verheiratete schlafen im selben Bett.«
Jessicas Herz begann wie wild zu pochen. Sie faltete die Hände, um ihr Zittern zu verbergen, und setzte ein argloses Lächeln auf.
»Du willst dich über mich lustig machen.«
Er lachte und sagte dann mit ernster Stimme: »Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Bist du sicher?« fragte Jessica. Obwohl ihre Stimme unbekümmert klang, lag etwas Flehentliches in ihrem Blick. »Keine Frau könnte es ertragen, Nacht für Nacht neben ihrem Mann zu schlafen.«
»Eine vornehme Dame natürlich nicht«, erwiderte Wolfe. »Aber die Frauen hier im Westen sehen das anders. Frag nur Willow Black. Jede Nacht teilt sie sich regelmäßig mit Caleb das Bett, und tagsüber sind beide damit beschäftigt, glücklich und zufrieden auszusehen.«
Jessica hörte den Klang in Wolfes Stimme, der ihr verriet, wie sehr er sie begehrte. Für einen Moment vergaß sie ihre Angst davor, nicht nur mit ihm im selben Zimmer zu schlafen, sondern auch im selben Bett.
»Womit wir wieder bei Willow angelangt wären«, sagte Jessica und versteckte ihren Ärger, indem sie laut seufzte. »Wenn man dir glauben kann, muß sie ja eine wahre Traumfrau sein.«
»Ist sie auch.«
»Und wo schlafen die Frauen hier im Westen, die keine Traumfrauen sind?« fragte Jessica. Sie hatte sich inzwischen wieder ein wenig beruhigt. »Im Stall?«
»Nur wenn sie die Pferde nicht erschrecken.«
»Der Stall kommt also für mich nicht in Frage.« Sie nahm ihren Hut ab und schüttelte ihr Haar. »Die Pferde brauchen
Weitere Kostenlose Bücher