Im Strudel der Gefuehle
nur einen Blick
auf mein Haar zu werfen und schon werden sie glauben, das Heu steht in Flammen.«
Wolfe mußte lächeln. Seit dem Überfall auf die Postkutsche war kein Tag vergangen, an dem er sich in Jessicas Gesellschaft nicht ausgesprochen wohl gefühlt hatte. Sie war beinahe ausnahmslos gut gelaunt, freundlich und witzig. Mit ihrem Charme hatte sie allen Mitreisenden die lange Fahrt angenehmer gemacht, wenn es da nicht eine Kleinigkeit gegeben hätte, die Wolfe störte.
Diese Kleinigkeit war der breitschultrige, blonde Fremde, von dem er nichts weiter wußte als seinen Vornamen: Rafe.
Wolfe und Rafe waren stillschweigend zu der Übereinkunft gekommen, daß es auf Dauer nicht gutgehen konnte, wenn sie sich beide die Kutsche mit einer gutgelaunten, jungen Frau teilen mußten. Ohne daß ein weiteres Wort notwendig war, hatte Rafe den Rest der Fahrt oben beim Kutscher auf dem Bock verbracht. Als sie zum zweiten Mal haltmachten, hatte Rafe einem Mann von der Ostküste, den das Heimweh plagte, Pferd und Sattel abgekauft und war der untergehenden Sonne entgegen davongeritten. Vorher hatte er sich noch einmal bei Jessica dafür bedankt, daß sie sich so freundlich um seine Verletzung gekümmert hatte.
Wolfe fand Rafes Interesse an Jessica unangebracht. Insgeheim hatte er sich sogar darüber geärgert, daß Jessica Rafe noch so lange hinterhergeschaut hatte, bis er im blutroten Sonnenuntergang verschwunden war. Wolfe fragte sich, ob sich Jessica wohl genauso erschreckt hätte, wenn sie in der Kutsche in Rafes statt in seinen Armen zu sich gekommen wäre.
»Du kannst in meinem Bett schlafen, wie es sich für eine Frau hier draußen im Westen gehört, oder du kannst im Wohnzimmer am Kamin schlafen wie meine Jagdhunde«, sagte Wolfe kühl. »Du kannst es dir aussuchen, genauso wie du dir diese Ehe ausgesucht hast.«
Jessica rang sich ein mühsames Lächeln ab. »Das ist sehr großzügig von dir. Ich weiß, wie gern du deine Hunde hast.«
Wolfes indigofarbene Augen verengten sich mißtrauisch, aber noch bevor er etwas hinzusetzen konnte, drehte Jessica ihm den Rücken zu und sah sich im Schlafzimmer um. Auf den ersten Blick konnte sie nicht genau sagen, woran es lag, daß die Formen und Farben, mit denen das Zimmer ausgestattet war, so ansprechend auf sie wirkten. Das Zimmer hatte viel mit Wolfe gemein: es war elegant und gleichzeitig sehr männlich. Es hatte etwas von der Eleganz eines Falken oder eines Berglöwen; eine Eleganz, die mehr mit einem Sinn für Ausgewogenheit und Kraft zu tun hatte als mit bloßer Schönheit.
Genau wie die Außenwände des Hauses, so bestand auch das Innere der Zimmerwände aus groben, geschälten Baumstämmen. Im Inneren des Hauses waren die Stämme glattgehobelt und auf Hochglanz poliert, was den Zimmern eine warme, behagliche Stimmung verlieh. Jemand, der ganz offensichtlich etwas für die fließende Maserung des Holzes übrig hatte, hatte die Möbel gebaut. Ihre schlichten Formen überraschten Jessica, die an europäischen Luxus gewöhnt war.
Sie konnte den Blick vom Bett und der Kommode, vom Tisch und den Stühlen nicht abwenden. Ihre Formen erinnerten sie an eine Formation fliegender Gänse vor dem Hintergrund eines herbstlichen Abendhimmels. Die bunten Decken und das mattschimmernde Überbett aus Fell standen den kostbaren Laken eines Grafen in nichts nach. Wie ein funkelnder Blumenstrauß aus Kristall stand ein Leuchter auf dem Nachttisch; im Gegensatz zu einem echten Blumenstrauß würden seine Blüten jedoch niemals verwelken und vergehen.
»Du hast wirklich ein gutes Gespür für Farben und Formen«, sagte Jessica anerkennend. »Das Zimmer ist sehr schön. Die Möbel sind... außergewöhnlich.«
»Höre ich da einen Hauch von Ironie in Eurer Stimme, Lady Jessica?« erwiderte Wolfe und sah sich in seinem Schlafzimmer um.
Der unerwartet bittere Tonfall in seiner Stimme ließ sie zusammenzucken. Bevor sie noch etwas sagen konnte, sprach er weiter.
»Ein Shaker, der als Zimmermann herumgezogen ist, hat sich über den Winter hier einquartiert. Im Austausch für Kost und Logis hat er mir diese Möbel gebaut. Die Decken sind gewöhnliche Handelsware von der Hudson Bay Company, genauso wie das Fell.«
»Wenn ich etwas ironisch meine«, sagte Jessica beleidigt, »dann brauchst du nicht erst zu fragen. Das merkst du dann schon.«
»Tatsächlich? Dann verrate mir, was du in diesem Zimmer siehst, das dem Auge einer echten Lady gefallen könnte.«
»Viele Dinge«, sagte Jessica.
Weitere Kostenlose Bücher