Im Strudel der Gefuehle
Tür.«
»Tatsächlich?«
Mit beiden Händen raffte sie ihre zerschlissenen Röcke zusammen und zwängte sich an ihrem Mann vorbei, der keinen Schritt zur Seite wich.
»Ich erwarte, daß in einer Stunde das Essen auf dem Tisch steht«, sagte Wolfe, während der weiche Wollstoff ihres Kleides über seine Schenkel glitt und sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. »Und den Kaffee erwarte ich sogar noch ein bißchen früher.«
»Selbstverständlich«, stimmte Jessica ihm zu.
Aber sie bezweifelte, daß Wolfe wußte, was sie meinte.
Die Küche hatte einen Steinfußboden. In einer Ecke stand ein Waschbecken mit einer Wasserpumpe, in einer anderen ein großer Herd.
Außerdem entdeckte sie einen kleinen Tisch, der offensichtlich vom selben Handwerker gebaut worden war, der auch die Schlafzimmermöbel gemacht hatte. Die Vorräte standen überall in schweren Säcken herum.
Jetzt, da Wolfe nicht mehr abschätzen konnte, ob Jessicas gute Laune auch echt war, verschwand ihr Lächeln genauso schnell, wie es gekommen war. An die Stelle ihrer fröhlichen Entschlossenheit trat ein Zustand körperlicher Erschöpfung, der ihr sogar das Stehen zur Qual machte. Und um ihren seelischen Zustand stand es nicht viel besser.
Es sah nicht so aus, als ob sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde. Sosehr sie sich auch bemühte, Wolfe ein wenig menschliche Wärme zu entlocken, so hatte er sich seit dem Überfall der Indianer auf die Postkutsche ihr gegenüber kalt und abweisend verhalten. Und zu allem Überfluß fegte auch noch ununterbrochen der Wind über das Land. Wann immer sie allein war, konnte sie sein grausames Heulen deutlich hören.
Und allein war sie die meiste Zeit. Das Gefühl der Einsamkeit war am schlimmsten, wenn Wolfe bei ihr war. Automatisch legte sie eine Hand auf die Brust. Versteckt unter den Falten ihres Kleides trug sie sein Medaillon, das sie jetzt fest umklammerte. Das vertraute Gefühl spendete ihr Trost.
»Also gut«, sagte Jessica und nahm sich vor, sich nicht unterkriegen zu lassen. Alles andere hätte sie nur an das Grauen erinnert, das im Heulen des Windes auf sie lauerte. »Wo hat Wolfe wohl die Kaffeekanne versteckt? Und woher weiß ich, wie eine Kaffeekanne aussieht?«
Nur das wehmütige Klagen des Windes antwortete Jessica. Eilig ergriff sie die Streichhölzer und zündete eine Laterne an. Wolfe hatte alle Fenster verriegelt, bevor er nach London abgereist war. Immer wieder hatte sie ihren Kammerdienern dabei zugeschaut, wie sie eine Lampe entzündeten. Trotzdem brauchte sie mehrere Versuche, bis sie endlich herausgefunden hatte, wie man Streichhölzer, Docht und Öl richtig benutzte. Die Lampe qualmte zwar störend, aber das war immer noch besser als gar keine.
Der Wind fegte über das Dach und ließ die Klappe über dem Abzugsrohr rasseln wie ein rostige Kette. Das Geräusch erinnerte Jessica an ihre Kindheit in Schottland und daran, wie sie sich mit den Küchenmädchen in der Küche versteckt hatte, weil sie die Laute nicht mehr länger ertragen konnte, die aus dem Zimmer des Vaters drangen. Es war lange her, daß Jessica zum letzten Mal an diese Dinge gedacht hatte. Jetzt war bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, um diese Erinnerungen wieder hochkommen zu lassen.
Mit einem Lied auf den Lippen, das sowohl den Wind draußen als auch ihre finsteren Gedanken übertönte, machte sie sich an die Arbeit. Die Melodie, die sie vor sich hin summte, war eines ihrer Lieblingslieder. »Mädchen aus den Bergen«. Die Worte dazu waren ihr schon immer ein wenig kindisch vorgekommen, aber die Melodie war so fröhlich und unbekümmert, daß sie gleich auf andere Gedanken kam. Je heftiger draußen der Wind heulte, desto lauter sang Jessica ihr Lied. Dabei machte sie auf der Suche nach der Kaffeekanne nacheinander alle Schränke auf und zu.
Nachdem Jessica jeden Schrank aufgemacht und mit der qualmenden Lampe in der Hand hineingeschaut hatte, hatte sie immer noch nichts entdeckt, was auch nur im entferntesten den eleganten Silberkaraffen ähnelte, in denen Sir Roberts Diener den Kaffee servierten. Auch konnte sie nichts finden, was so ausgesehen hätte wie die kleinen silbernen Kännchen oder das hauchdünne Porzellan, aus denen man Kaffee trank, wenn man sein Frühstück im Bett zu sich nahm.
»Verflixt und zugenäht«, murmelte sie.
Jessica fing noch einmal von vorne mit der Suche an, wobei sie nicht aufhörte, weiter ihr Lied zu summen. Als sie einen Schrank zur Hälfte durchsucht hatte,
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