Im Strudel der Gefuehle
man sich die Hände wäscht, wird das wohl auch für andere Arten gelten.«
»Sind Sie Krankenschwester?« fragte Rafe und streifte sich mit ihrer Hilfe einen Ärmel über. »Sie haben sehr sanfte und geschickte Hände.«
Jessica lächelte. »Vielen Dank fürs Kompliment, aber ich hatte nie eine richtige Ausbildung. Mein Vormund hat mir beigebracht, wie man mit den kleinen Notfällen umgeht, die tagtäglich Vorkommen können, wenn man auf einem Schloß auf dem Lande lebt — Knochenbrüche, Fieber, Kratzer und solche Dinge. Außerdem habe ich Erfahrung im Umgang mit Schwangerschaften und Geburten.«
Genug jedenfalls, um zu wissen, daß ich damit nichts zu tun haben will, setzte Jessica im stillen hinzu. Dann drehte sie sich um und kümmerte sich um das Mädchen, das immer noch die Arme fest um sich gelegt hatte. Wenn mir meine Mutter auch weiter nichts beigebracht hat, dann wenigstens das.
»Ist alles in Ordnung, Mrs. O’Conner?« fragte Jessica.
Das Mädchen nickte wie betäubt.
»Und das Baby?« fragte Jessica ohne zu zögern, während sie dem Mädchen die Hände unter den Mantel steckte und vorsichtig ihren Bauch betastete. »Geht es dem Baby auch gut?«
Zuerst starrte das Mädchen sie nur stumm an. Dann jedoch begann ihre Teilnahmslosigkeit zu verfliegen, als sie spürte, wie sich sanfte weibliche Hände auf ihren Bauch legten.
»Haben Sie Schmerzen?« fragte Jessica.
Mrs. O’Conner schüttelte den Kopf.
Jessica stieß einen lautlosen Seufzer der Erleichterung aus. Der Bauch des Mädchens war weich und gab bereitwillig dem Druck ihrer Hände nach. Wenn die Wehen verfrüht eingesetzt hätten, wäre jeder Muskel angespannt gewesen. Mit einem zuversichtlichen Lächeln legte Jessica den Mantel um das Mädchen und setzte sich neben sie auf die Bank, während Rafe die gegenüberliegende Sitzbank ganz für sich allein hatte.
»Sagen Sie mir, wenn Sie eine Veränderung spüren«, sagte Jessica.
Das Mädchen nickte und lächelte dann schüchtern. »Vielen Dank, Ma’am. Es tut mir leid, wenn ich Ihren Mann beleidigt habe. Es ist nur...« Ihre Stimme erstarb, und mit zitternden Händen bekreuzigte sie sich. »Ich habe solche Angst vor den Indianern. Ich... ich schäme mich beinahe dafür.«
»Machen Sie sich darüber nur keine Sorgen«, sagte Jessica. Jetzt, als der Augenblick der Gefahr vorbei war, überkam sie plötzlich ein überwältigendes Gefühl der Erschöpfung. »Ich habe vollstes Verständnis für Ihre Alpträume und Ängste.«
Als das Mädchen sah, daß Jessicas Hände zitterten, rief sie erstaunt: »Sie haben ja auch Angst!«
»Selbstverständlich habe ich Angst. Ich weiß selbst sehr genau, wenn mich jemand zu überfallen oder zu ermorden versucht. Ich habe einfach nur gelernt, meine Angst zu verstecken.«
Jessica schob die Hände unter den Mantel, zog ihn enger um sich und schloß die Augen. Insgeheim mußte sie sich zusammenreißen, um die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Es war alles viel einfacher, als sie noch etwas zu tun hatte. Statt dessen hockte sie jetzt hier wie ein Hühnchen, das auf den Metzger wartet.
Nach und nach fielen nur noch vereinzelte Schüsse, und schließlich hörte das Schießen ganz auf. Die Kutsche verlangsamte ihr Tempo allerdings nicht. Eines der Schlaglöcher in der Straße war so tief, daß die Hinterräder vollkommen vom Boden abhoben und Jessica und
Mrs. O’Conner vom Sitz hochflogen und quer über den schmalen Mittelgang gegen Rafe geschleudert wurden. Jessicas Kopf schlug dabei gegen die Wand der Kutsche und für einen Moment war ihr, als würde sie ohnmächtig.
Mit seinem rechten Arm fing Rafe sie auf und drückte sie gegen seine Brust, während die Kutsche auf den Boden aufprallte.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte Mrs. O’Conner mit gerötetem Gesicht, während sie sich aufrappelte und sich wieder auf ihren Platz setzte.
»Kein Problem«, sagte Rafe. »Ma’am? Ist alles in Ordnung?«
Benommen schüttelte sich Jessica, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Von allen Seiten gleichzeitig strömten verwirrende Geräusche auf sie ein. Es war ihr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen oder etwas zu sagen. Schneller und schneller breitete sich die Dunkelheit um sie herum aus.
Obwohl Jessica genau wußte, daß sie nicht gewinnen konnte, kämpfte sie gegen die dunkle Flut an, die über ihr zusammenzuschlagen drohte. Ihr letzter klarer Gedanke, bevor sie die Besinnung verlor, war die schreckliche Gewißheit, daß sich ihre Mutter jedesmal
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