Im Strudel der Gefuehle
verschneiten Berge waren genau die richtige Kulisse für ihn. In seinen schlanken Händen kam die Eleganz des reichverzierten Gewehrs voll zur Geltung.
Wolfe gehörte in diese Wildnis und nicht in die brokat- und seiden-behangenen Salons der Zivilisation. So sicher sie sich dessen war, wußte sie auch, daß sie Wolfe liebte, wie er wirklich war; daß sie ihn immer geliebt hatte und immer lieben würde.
Diese Erkenntnis traf sie wie ein Blitzschlag, durchbrach die Mauern ihrer Erschöpfung und erfüllte ihr ganzes Wesen von Grund auf.
»Sie haben uns nicht gesehen«, sagte Wolfe. »Sie sind zu beschäftigt mit Trinken und Kartenspielen. Jericho wird sie ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.«
»Ist er so ein guter Spieler?« fragte Rafe.
»Für jemanden, der sich mit dem Teufel selbst an einen Tisch setzen würde, ist er ein angemessener Gegner.«
Wolfe übernahm erneut die Führung, gefolgt von Jessica und den Packpferden. Rafe wartete, bis sie dreißig Meter Vorsprung hatten, und folgte ihnen dann. Er hatte Jessicas Karabiner vor sich quer über den Sattel gelegt und achtete auf irgendwelche Geräusche hinter ihnen.
Die Erschöpfung rollte über Jessica hinweg wie eine graue, bleierne
Welle. Sie sank im Sattel zusammen. Mit leerem Blick folgte sie dem Pfad, der mit jedem Schritt steiler und unwegsamer wurde. Zu ihrer Linken fiel ein schneebedeckter Hang steil in die Tiefe. Jessica achtete kaum darauf. Nur ihren guten Reflexen hatte sie es zu verdanken, daß sie sich aufrecht im Sattel halten konnte.
Als ihr Pferd auf einer vereisten Stelle ausrutschte und in die Knie ging, griff sie instinktiv nach dem Sattelknauf. Aber es war bereits zu spät. Sie rutschte nach vorne, an dem gebogenen, seitlich verschobenen Sattelknauf vorbei. Ihr Pferd warf sich zur Seite in dem Versuch, sein Gleichgewicht wiederzugewinnen. Durch die plötzliche Bewegung flog Jessica aus ihrem Damensattel, landete auf dem schneebedeckten Boden und begann, in einem Durcheinander aus Röcken und Gliedmaßen den Hang hinunterzurollen.
Der Angstschrei, den sie ausgestoßen hatte, als ihr Pferd das erste Mal in die Knie ging, war Wolfes einzige Warnung. Mit einem Ruck drehte er sich im Sattel um und sah gerade noch, wie Jessica kopfüber den Hang hinunterrollte. Er wendete auf der Stelle und kam zu ihrem Pferd geritten. Ein Ginsterstrauch hatte Jessicas Sturz inzwischen abgefangen. Wolfe trieb sein Pferd den Abhang hinunter zu der Stelle, wo Jessica regungslos liegengeblieben war.
»Jessi!«
Wolfes verzweifelter Aufschrei brach sich an den Felswänden. Sie gab keine Antwort.
Er sprang aus dem Sattel, rannte die letzten Meter und fiel vor ihr auf die Knie.
»Jessi? Ist alles in Ordnung?« fragte er besorgt.
Sie antwortete nicht.
»Sag doch etwas, mein Elfchen«, flehte er sie an und wischte ihr mit zitternden Fingern den Schnee aus dem Gesicht. »So schlimm kann der Sturz doch nicht gewesen sein. Der Schnee ist weich, und Felsen gibt es hier auch keine. Jessi...«
Vorsichtig wischte er den Schnee zur Seite, der sich in ihren Augenbrauen und Wimpern festgesetzt hatte. Ihr mahagonifarbenes Haar leuchtete im Schnee wie dunkle Glut. Im Gegensatz zu ihrer Haut, die fast so weiß wie der Schnee war, wirkte ihr Haar beinahe schwarz.
»Du kannst dich unmöglich verletzt haben, meine Kleine. Gott steh mir bei, das kann einfach nicht sein! Verdammt noch mal, Jessi. Wach endlich auf!«
Jessica stöhnte und versuchte, sich aufzusetzen. Auf halbem Weg wurde sie von ihren Zöpfen zurückgerissen, die unter ihr eingeklemmt waren. Benommen versuchte sie sich ein zweites Mal hinzusetzen, aber auch dieses Mal wollte es ihr nicht gelingen.
Wolfe hielt sie fest, als sie es ein drittes Mal versuchte und ihre Zöpfe sie daran hinderten.
»Immer mit der Ruhe, Jessi. Deine Haare haben dich wieder einmal an die Kette gelegt.«
»Wolfe?« fragte sie benommen. »Bist du es wirklich?«
Aquamarinblaue Augen richteten sich auf Wolfe, und kühle Finger streichelten sein dunkles Gesicht.
»Ja, mein Elfchen, ich bin es.«
Die Erleichterung darüber, daß Jessica nichts passiert war, hatte auf Wolfe dieselbe Wirkung wie ein Glas Champagner. Er war so glücklich, daß ihm beinahe ein wenig schwindelig wurde. Als ihm einfiel, daß sich Jessica schon einmal so in ihrem eigenen Haar verfangen hatte, spürte er ein Lachen in sich aufkommen. Er grinste breit, als er ihr beim Aufstehen half.
»Manchmal erinnerst du mich an einen Drachen, der sich mit seinem langen roten
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