Im Strudel der Gefuehle
auf dem Rücken eines Pferdes saß.
»Jessi, was ist denn los?«
Sie schaute an Wolfe vorbei, als wäre er Luft. Alles, was sie sah, war die Leere des Windes, und alles, was sie hörte, war sein tiefes, triumphierendes Heulen.
Mit schnellen, beinahe haßerfüllten Bewegungen ergriff Wolfe seinen rechten Steigbügel. Es gelang ihm jedoch nicht, ihn weit genug nach oben zu ziehen, damit Jessica ihn mit dem Fuß erreichen konnte.
»Zum Teufel noch mal«, murmelte er.
Falls Jessica ihn gehört hatte, zog sie es vor zu schweigen.
Als der Wind auffrischte, trug er den Hufschlag eines näher kommenden Pferdes heran. Wolfe schaute auf, erkannte Rafes Pferd von weitem und machte sich daran, den Steigbügel wieder auf seine ursprüngliche Länge zu verstellen.
Der Weg, dem Rafe folgte, wies die Spuren der vorangegangenen Ereignisse auf. Ein Pferd, das ins Stolpern gekommen war; eine breite Schneise, die Jessicas Körper geschlagen hatte, und tiefe Hufspuren, wo Wolfes Stute den Abhang hinuntergesprungen war. Jessicas blutleeres Gesicht und Wolfes verbissene Miene sprachen Bände, wenn Rafe auch nicht ganz klar war, was genau vorgefallen war.
»Ist sie verletzt?« fragte er Wolfe.
»Ihr rechtes Fußgelenk ist verrenkt, aber den größten Schaden hat wohl ihr Stolz erlitten.«
Rafe sah zu Jessica hinüber. Sie beachtete ihn nicht. Auch schien sie nicht zu bemerken, was sonst um sie herum vor sich ging. Ihre Ruhe hatte etwas an sich, das Rafe die Haare zu Berge stehen ließ. Er hatte Männer gesehen, die genau den gleichen Ausdruck auf dem Gesicht hatten; Männer, die vor Schmerzen, vor Hunger oder im Krieg die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht hatten.
»Sie ist vollkommen erledigt«, sagte Rafe. »Ich habe eine gute Lagerstelle entdeckt, etwa eine halbe Meile entfernt.«
Der Wind drehte sich erneut und breitete einen Schleier aus Schnee über das kalte Land.
»Wir werden den Paß überqueren.« Wolfe schwang sich hinter Jessica in den Sattel. »Passen Sie auf, daß wir Jessicas Pferd nicht verlieren. Die Packpferde sind daran gewöhnt, daß es die Führung übernimmt.«
Er gab seinem Pferd die Sporen, legte einen Arm um Jessica und hielt sie fest. Ihr Körper versteifte sich, aber sie sagte nichts und wehrte sich nicht gegen ihn. Alles, was sie tat, war tiefer und tiefer in sich selbst zu versinken und nach einem Ausweg aus der Falle zu suchen, in die sie Wolfe und sich selbst mit ihrer Rücksichtslosigkeit getrieben hatte.
Doch es gab keinen Ausweg. Alles, was sie tun konnte, war durchzuhalten und nicht aufzugeben.
Ich kann nicht.
Und darum zu beten, daß Wolfe sich änderte, weil sie selbst es nicht konnte.
Ich kann nicht.
Ich muß jetzt stark sein. Nur noch ein bißchen. Ein paar Minuten.
Als diese paar Minuten vergangen waren, zwang sich Jessica zu weiteren und dann noch ein paar, bis eine halbe Stunde vergangen war, dann eine Stunde, dann zwei. Dann drei.
Langsam, ganz langsam, lernte sie durchzuhalten und ohne Wolfe als ihren Glücksbringer zurechtzukommen. Vielleicht würde sie schließlich sogar lernen, in einer Welt zu überleben, die von einem seelenlosen Wind beherrscht wurde, in dem sich Alpträume und Erinnerungen miteinander verwoben.
10
»Wolfe, ich kann gar nicht glauben, daß du es bist! Caleb hat gesagt, die Pässe liegen alle seit dem letzten Sturm unterm Schnee begraben.«
Beim Klang von Willows tiefer Altstimme verzogen sich Jessicas Lippen zu einem unglücklichen Lächeln. Sie hätte eigentlich damit rechnen sollen, daß die verfluchte Traumfrau auch eine schöne Stimme hatte. Mit finsterer Miene wartete sie darauf, daß sie sich endlich zeigte, aber als Willow aus dem Haus kam, blieb sie erst einmal im Schatten auf der Veranda stehen, wo Jessica sie nicht sehen konnte.
»Ja, ich bin es wirklich«, sagte Wolfe lächelnd, als er abstieg und mit großen Schritten auf Willow zuging, um sie in die Arme zu nehmen. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«
»Du bist alles, was ich brauche«, sagte sie lachend und breitete die Arme aus.
Als Wolfe sie mit einer festen Umarmung an sich drückte, war die Zuneigung in seiner Stimme und seiner Miene nicht zu verkennen. Eifersucht und Verzweiflung machten sich in Jessica breit und ließen sie erschaudern. Sie wunderte sich, daß überhaupt noch etwas zu ihr durchdrang. Nachdem der schwarze Wind ihr Tag und Nacht die schlimmsten Alpträume bescherte, hatte sie erwartet, daß ihr nichts mehr etwas ausmachen würde.
Wenn es dieses verfluchte
Weitere Kostenlose Bücher