Im Strudel der Gefuehle
Schwanz in allen möglichen Hindernissen verfängt und immer wieder zur Erde zurückgerissen wird.«
Während Wolfe ihr Haar befreite, rief die Erleichterung Erinnerungen in ihm wach. Er fing leise an zu lachen und klopfte ihr den Schnee aus der Kleidung.
Der Klang von Wolfes Lachen brachte Jessica so schnell wieder zur Besinnung wie ein kräftiger Schlag ins Gesicht. Sie versuchte vergeb-lich, ihn beiseite zu stoßen. Obwohl Wolfe immer noch vom Lachen geschüttelt wurde, kostete es ihn keine Mühe, sie hochzuheben und wieder auf die Beine zu stellen.
Für Jessica war das der Höhepunkt der Erniedrigung. Furcht, Ärger, Schmerz, Erschöpfung und Demütigung brachen in einem einzigen schrecklichen Wutanfall aus ihr hervor. Ohne zu zögern griff sie nach dem Jagdmesser, das Wolfe am Gürtel trug. Die Bewegung kam so plötzlich, daß sie die Klinge in der Hand hielt, bevor Wolfe noch etwas gemerkt hatte. Mit der Schnelligkeit einer zustoßenden Schlange schlossen sich seine Finger um ihr Handgelenk.
»Was soll denn das?« fuhr er sie an.
Jessicas Mundwinkel verzog sich grimmig. Sie zog an ihrem Handgelenk, konnte es aber nicht aus seinem Griff lösen.
»Jessi! Was zum Teufel...? Hat dir der Sturz auch noch den letzten Funken Verstand geraubt?«
Jessica stockte der Atem. Sie war vollkommen erschöpft. Sie hatte Angst. Ihr war kalt. Und ihr rechtes Fußgelenk bereitete ihr bei jeder Bewegung Schmerzen. Doch vor allem war sie wütend auf den wilden Sohn des Grafen, der sich zu allem Überfluß auch noch an ihrem Elend erfreute.
»Laß mich endlich los!«
Als Wolfe die nackte Wut in Jessicas Stimme hörte, war die Belustigung in seinen Augen plötzlich wie weggewischt.
»Nicht, bis du mir sagst, was du mit dem Messer vorhast«, sagte er.
Drei endlose Atemzüge lang starrte Jessica ihn nur schweigend an. Schließlich entdeckte sie das Messer in ihrer Hand. Lange betrachtete sie es, als wüßte sie nicht genau, wie es dort hingekommen war. Als sie Wolfe ansah, war keine Spur von Wärme oder Nachsicht mehr in ihren Augen zu entdecken.
»Mein Haar«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme.
»Wie bitte?«
»Ich werde jetzt mein verdammtes Haar abschneiden.«
Seine schwarzen Augenbrauen zogen sich fragend in die Höhe. »Lieber nicht. Wenn du so weitermachst wie bisher, schneidest du dir wahrscheinlich durch Zufall noch die Kehle durch.«
Oder ihm, allerdings nicht durch Zufall.
Keiner von beiden wagte, diese Worte auszusprechen. Mühelos löste Wolfe ihre Finger vom Griff des Messers, was ihren Ärger nur noch zu verstärken schien.
»Du Bastard«, fauchte sie.
Er lächelte gequält. »Wie recht Ihr habt, Mylady.«
»Und was für ein Bastard du bist!« setzte sie hinzu. »Einmal von Geburt an und einmal, weil du dich wie einer benimmst. Du läßt mich schuften wie eine Küchenmagd, machst dich über meine Versuche lustig, dir eine gute Ehefrau zu sein, und jetzt lachst du auch noch über meine Schmerzen, wenn mein Pferd mich abwirft, weil ich so erschöpft bin, daß ich mich nicht aufrecht im Sattel halten kann. Du bist wirklich ein Bastard.«
Wolfes Gesicht war ausdruckslos. »Ein Wort genügt und du bist frei. Du weißt genau, welches Wort ich meine. Nun?«
Eine innere Ruhe überkam Jessica. Sie riß sich mit aller Kraft zusammen. Ihr Gesicht nahm den Ausdruck eines bis zum Zerreißen gespannten Drahtes an.
»Liebster.«
Das Wort klang wie ein Fauchen, und ihr Lächeln war kalt wie Eis.
»Genau da liegt das Problem«, sagte Wolfe mit mühsam beherrschter Stimme. »Ich bin vielleicht dein Mann, aber du bist nicht meine Frau.«
»Ich habe einen Vorschlag. Fahr zur Hölle! Dort kannst du dich über die Qualen anderer Menschen so lange amüsieren, bis du vor Lachen nach Luft schnappst und tot umfällst. Erst dann bist du mich los, Liebster. Keinen Moment früher.<<
Jessica drehte sich um und begann, auf allen vieren den steilen Hang hinaufzuklettern. Ein schwaches Lächeln, das nur wenig mit wirklicher
Freude zu tun hatte, huschte über Wolfes Gesicht, als er ihr hinterherschaute. Grenzenlose Wut sprach aus jeder einzelnen Bewegung ihres Körpers. Er hatte schon viele ihrer Launen miterlebt, aber diese hier war ihm neu. Die zerbrechliche kleine Aristokratin hatte ein Temperament, das sich mit dem bezaubernden Feuer ihres Haars messen konnte.
Unweigerlich drängte sich Wolfe die Frage auf, ob sie wohl im Bett einen Bruchteil dieser Leidenschaft zeigen würde, die sie gerade hier bewiesen hatte. Die
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