Im Strudel der Gefuehle
erwiderte er. »Wann werde ich denn Onkel?«
»In ein paar Wochen.« Sie lächelte ihren Bruder an, der nicht nur älter war als sie, sondern sie auch noch um Haupteslänge überragte. »Ach, Rafe, es tut so gut, dich wiederzusehen! Ich kann es kaum erwarten, bis Caleb und Matt von der Nordweide zurückkommen.«
»Ich auch nicht. Und deshalb werde ich zu ihnen hinausreiten, sobald wir die Packpferde abgeladen haben.«
Willow hakte sich bei Rafe unter und sagte: »Ich habe gar keine Lust, dich schon wieder gehen zu lassen. Nach so vielen Jahren.« Sie rieb ihre Wange an seinem Arm und seufzte tief. »Und jetzt mußt du mich deiner
Frau vorstellen. Sie ist eine echte Schönheit, aber das hatte ich nicht anders erwartet. Du hattest schon immer ein gutes Auge für die schönen Dinge des Lebens, ganz egal, ob es um Frauen, Pferde, Hunde oder Land ging.«
»Auch wenn das Herzchen eine Schönheit ist«, stimmte ihr Rafe zu, »ist sie immer noch Wolfes Frau und nicht meine.«
Mit offenem Mund drehte sich Willow um und starrte Wolfe an. Alle Fragen erstarben ihr jedoch auf den Lippen, als sie den trostlosen Ausdruck in seinen dunkelblauen Augen sah.
Willow schluckte und wandte sich dann wieder dem Mädchen zu, das so elegant in seinem unbequemen Damensattel saß. Die Kleine hatte ein zierliches, elfenhaftes Gesicht, aquamarinblaue Edelsteine anstelle von Augen und dichtes, dunkelrotes Haar, in dem bei jeder Bewegung das Sonnenlicht wie verstecktes Feuer flackerte und schimmerte. Die Reitgarnitur, die sie trug, war arg mitgenommen, verriet aber durch ihren modischen Schnitt und teuren Stoff, daß sie einmal viel Geld gekostet hatte.
Plötzlich erinnerte sich Willow wieder. »Lady Jessica Charteris?«
»Jetzt nicht mehr. Ich heiße jetzt Jessica Lonetree. Oder einfach Jessi.«
»Oder Herzchen?« fragte Willow ohne Hintergedanken.
»Oder Herzchen«, nickte Jessica und lächelte zu Rafe hinüber. »Es ist so eine Sitte hier im Westen, daß jeder einen Spitznamen hat, hat man mir erzählt.«
»Steigen Sie ab und kommen Sie ins Haus. Sie müssen erschöpft sein. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Ritt über den Paß. Wenn Caleb nicht gewesen wäre, hätte ich es niemals geschafft. Am Ende mußte er mich sogar tragen.«
»Wir haben den einfacheren Weg genommen«, sagte Wolfe. »Lady Jessica besitzt weder deine Stärke noch deine Anpassungsfähigkeit.«
Willow warf Wolfe einen verunsicherten Blick zu, als sie seinen gereizten Tonfall vernahm.
»Das finde ich nicht«, sagte sie leise. »Jeder, der diese Berge in einem Damensattel überquert, ist stärker als ich.«
Wolfe brummte nur und schwieg.
Mit steifen Bewegungen begann Jessica abzusteigen. Noch bevor sie ihr Gewicht aufs rechte Bein verlagern konnte, legte Rafe seine großen Hände um ihre Taille und stützte sie so lange, bis sie mit dem linken Fuß soweit war, ihr Gewicht noch einmal aufs andere Bein zu verlagern.
»Das hätte ich auch alleine geschafft«, sagte Jessica mit leiser Stimme, »aber trotzdem vielen Dank.«
Willow allein sah, wie blinde Eifersucht in Wolfes Augen aufflackerte, bevor er sich wieder in der Gewalt hatte. Auch war sie die einzige, die den kleinen, kaum sichtbaren Schritt gesehen hatte, den er unwillkürlich in Jessicas Richtung machte, als sie vom Pferd stieg.
»Sie müssen es ja nicht gleich übertreiben«, sagte Rafe. »Ihr Knöchel ist solchen Belastungen noch nicht gewachsen.«
»Was ist passiert?« fragte Willow.
»Sie hat sich abwerfen lassen«, brummte Wolfe.
»Ist schon gut«, sagte Jessica. »Es ist nur eine Schramme. Weiter nichts.«
»Unfug«, sagte Willow, als sie Jessicas schmerzverzerrtes Gesicht sah. »Kommen Sie und setzen Sie sich. Ich koche Ihnen einen Tee.«
»Tee?« Jessica war überrascht. »Sie haben tatsächlich Tee?«
Willow lachte. »Wir haben noch etwas übrig von Wolfes letztem Besuch. Er ist der einzige, der Tee trinkt.«
Jessica warf Wolfe einen ungläubigen Blick zu, als sie daran dachte, wie oft sie sich in den letzten Tagen nach einer schönen Tasse Tee gesehnt hatte.
»Wir haben immer nur Kaffee getrunken«, protestierte sie schwach.
»Die Frauen hier im Westen trinken Kaffee. Du wolltest doch das tun, was alle anderen auch tun. Weißt du das nicht mehr?«
Die eiskalte Berechnung in Wolfes Stimme war unüberhörbar. Rafe verdrehte die Augen; er stöhnte leise und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Er hatte mit Wolfe ein stillschweigendes Abkommen getroffen: für alles, was
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