Im Sturm der Gefuehle
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Marcus, der es in jugendlicher Ungeduld kaum erwarten konnte, London kennen zu lernen und dort zu seinen Freunden zu stoßen, um sich städtisches Flair< zuzulegen, hatte den dringenden Wunsch geäußert, sie solle mitkommen. Phoebe, die in wenigen Wochen fünfzehn wurde, hatte unerwartet seinen Wunsch unterstützt und mit einem flehentlichen Blick ihrer großen goldbraunen Augen gehaucht: »Ach bitte, Sophy, lass uns nach London gehen! Wie gern würde ich Hookhams Leihbücherei und Hatchards Buchladen aufsuchen. Meine Freundin Amanda sagte, dass die Auswahl einfach riesig ist.«
»Bücher!«, hatte Marcus angewidert ausgerufen. »Phoebe, du hast wirklich nichts anderes im Kopf als Bücher. Ich möchte mich bei Weston elegant und modisch einkleiden. Und bei Manton schießen. Und bei Tattersall Pferde besichtigen. Und...«
»Schon gut, ich verstehe«, hatte Sophy ihn augenzwinkernd unterbrochen. »Du möchtest groß auftreten.« Sie lächelte Phoebes jungem Gesicht liebevoll zu. »Und du möchtest deine Nase in so viele Bücher stecken, wie du nur finden kannst. Sehr gut, wenn ihr beide nach London wollt, dann soll es mir recht sein.«
»Und du, Sophy? Was wirst du in London machen?«, fragte Phoebe.
»Ich werde ins British Museum gehen und vielleicht Westminster Abbey besuchen«, äußerte Sophy ruhig. Der Blick, den Marcus und Phoebe wechselten, ließ sie laut auflachen.
Nachdem der Entschluss gefasst war, dauerte es nicht lange, bis die Geschwister ihren Plan in die Tat umgesetzt hatten. Sie waren im März in London eingetroffen und hatten sich sehr angenehm im Stadthaus der Graysons am Berkeley Square eingerichtet. Marcus hatte bereits etliche Besuche bei Weston in Sachen Garderobe hinter sich. Phoebe war außer sich vor Begeisterung über die Auswahl an Büchern, die es bei Hatchard gab, und Sophy hatte das British Museum wirklich faszinierend gefunden. Natürlich hatten sie auch andere Veranstaltungen besucht, zusammen oder getrennt, und alle freuten sich über ihren ersten Aufenthalt in der Hauptstadt.
Trotz ihrer Vorliebe für stillere Vergnügungen hatte Sophy in den vergangenen Wochen einige gesellige Abende und Bälle besucht und sich zu ihrer großen Verwunderung blendend unterhalten, obwohl sich ihre Wege gelegentlich mit jenen ihres Onkels kreuzten und es steife und verlegene Gespräche zwischen ihnen gegeben hatte. Ebenso war es zu unvermeidlichen Begegnungen mit einigen der anderen Freunde ihres verstorbenen Mannes gekommen, und die Gerüchte, die sich um ihren Anteil am Tod Simons rankten, machten hinter ihrem Rücken gelegentlich im Flüsterton die Runde. Aber alles in allem war der Aufenthalt in London für sie ein Erfolg. Die Gesellschaft hatte sie bereitwillig akzeptiert, und trotz einiger indignierter Blicke waren die meisten Leute ihnen erstaunlich freundlich begegnet.
Edwards Anwesenheit und die Begegnungen mit Simons liederlichen Freunden waren im Moment die einzigen Wermutstropfen in ihrem Leben. Da ein Hausabend nicht zu jenen geselligen Anlässen gehörte, die Edward oder Simons andere Freunde anzogen, war sie zuversichtlich, dass sie die Viertelstunde, die sie diesem Besuch reservierte hatte, hinter sich bringen würde, ohne ihnen zu begegnen.
Der Kreis der Gentlemen, der sie umgab, setzte sich größtenteils aus ihrem Bruder und dessen Freunden zusammen. Zwei davon, Thomas Sutcliff und William Jarrett, kannte sie recht gut, da sie unweit von Gatewood lebten und mit Marcus aufgewachsen waren. Seit ihrer Rückkehr nach Cornwall hatte sie sich daran gewöhnt, sie ständig um sich zu haben. Mit zweiundzwanzig war Thomas der Alteste und als Anführer des Trios akzeptiert. Da dies seine dritte Londoner Saison war, hielt er sich für einen weltläufigen Mann. Andrew, ein Jahr jünger als Thomas, war umgänglich und unbeschwerter, als ihm gut tat. Sie waren im Grunde nette junge Männer, und Sophy sorgte sich nicht um Marcus, wenn er mit ihnen beisammen war.
Ihr Blick fiel auf einen anderen in der Gruppe, die sich um sie geschart hatte, und eine leise Andeutung von Unbehagen trübte ihr Lächeln. Sir Alfred Caldwell war ein neuer Bekannter ihres Bruders, und Sophy hätte nicht behaupten können, dass sie ihn mochte. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er viel älter als Marcus und seine Freunde, und die Aura von Genusssucht, die ihn umgab, ließ sie befürchten, dass Sir Alfreds Gründe, sich an einen grünen Jungen wie ihren
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