Im Sturm der Gefuehle
entschied er, als er kühn ihren Blick erwiderte. Nicht mit diesen Zügen. Ja, es erschien ihm glaubhaft, dass sie auf ihren Mann geschossen hatte. Wollte man Percival glauben, hatte sie ihn sogar ermordet. Und sie war Janes Tochter.
Seine Gründe für seinen Besuch in London, für seinen Besuch in diesem Haus, waren vergessen. Im Moment wollte er etwas anderes. Etwas, das lange gewartet hatte. Etwas, das an ihm genagt und ihn zu dem Mann gemacht hatte, der er geworden war. Auch nach all den Jahren war das Verlangen nach Vergeltung für Roberts Freitod in seiner Brust nicht erloschen. Es kümmerte ihn nicht, dass sie nur die Tochter der Frau war, die den Tod seines Bruders verschuldet hatte. Jane war außerhalb seiner Reichweite - ihre Tochter aber nicht.
Nach ihrer Vergangenheit zu schließen, war sie kein weiches, unschuldiges Geschöpf, das in ihm Schuldgefühle wecken würde, weil er diesen Gedanken nachhing. Er wollte, wie er sich ohne Reue eingestand, Vergeltung an der bereits berüchtigten Lady Marlowe üben und diese voll und ganz genießen.
Ohne den glühenden Blick von ihrem abzuwenden, berührte Ives Percivals Arm. »Mach uns bekannt«, forderte er ihn auf, und sein Ton bewirkte, dass Percival ihn scharf ansah.
»Nein«, sagte Percival. »Ich werde nicht zusehen, wie du dich zum Narren machst. Such dir einen anderen, der dir Beihilfe leistet, wenn du dich blamieren möchtest.«
Ives' Blick senkte sich auf ihn. Und er lächelte, ein Lächeln, das in Percival spürbares Unbehagen hervorrief. »Ich beabsichtige keineswegs, Lady Marlowe zu meiner Braut zu machen, doch möchte ich diese bemerkenswerte junge Frau, die zudem die Tochter der teuren Jane ist, unbedingt kennen lernen.« Percival fuhr zusammen und starrte ihn entsetzt an. »Du möchtest sie für das bestrafen, was Jane tat?« Auf Ives' Nicken hin sagte Percival: »Das ist die lächerlichste, dümmste Idee, die du seit langem hattest. Ohne sie oder ihre Mutter rechtfertigen zu wollen - sie trifft keine Schuld an Roberts Selbstmord.«
Ives sah ihn milde an. »Nein, wirklich nicht«, pflichtete er ihm bei, »doch es gibt in der Bibel eine interessante Stelle, die sagt, dass >die Sünden der Väter an den Kindern gerächt werden sollen<, oder in diesem Fall die Sünden der Mutter. Also, stellst du mich ihr vor, oder muss ich einen anderen finden, der es tut?«
»Ach, zu dumm! Ich hätte nie zulassen dürfen, dass Tante Margaret mich hierher verschleppt. Also, komm schon, wenn du entschlossen bist, dich zum Narren zu machen.« Percival drohte Ives mit dem Finger. »Aber schieb für das, was geschieht, nicht mir die Schuld in die Schuhe.«
Sophy amüsierte sich so wie immer bei diesen Anlässen. Heute hatte sie nicht kommen wollen, aber der zum ersten Mal verliebte Marcus hatte sie angefleht, ihn zu begleiten, damit seine Anwesenheit bei diesem eher steifen Abend nicht zu sehr auffiel. Sie lächelte. Mit seinen neunzehn Jahren war Marcus ein ausnehmend hübscher und liebenswerter junger Mann geworden. Titel und Vermögen machten ihn noch begehrenswerter, sodass Sophy sich wegen seiner momentanen Schwärmerei ein wenig sorgte und sich vergewissern wollte, dass die junge Dame passend war, womit sie nicht Vermögen oder Herkunft meinte. Sophy fürchtete, die Gefühle der jungen Dame könnten nicht Marcus, sondern seinem Titel und Besitz gelten.
Es war Sophys erster Aufenthalt in London seit dem Tod ihres Mannes, da sie zunächst mit Marcus und Phoebe nach Gatewood, dem Familiensitz der Graysons in Cornwall, gezogen war. In den Jahren seit Marlowes Tod hatte sie ein beschauliches Leben auf dem Land geführt, aus freien Stücken, aber auch weil ihr Onkel weiterhin das Familienvermögen stark beanspruchte. Die Mittel für den Unterhalt ihrer Geschwister überwies er weder regelmäßig noch großzügig, obwohl das Vermögen der Graysons noch immer sehr ansehnlich war.
Zum Glück verfügte Sophy über eigenes Geld und hatte dafür gesorgt, dass sie alle auf Gatewood sehr komfortabel leben konnten. Da eine Saison in London jedoch eine kostspielige Angelegenheit war, hatte sie die dringend benötigten Mittel nicht für etwas so Leichtfertiges ausgeben wollen und lieber für Gatewood verwendet. Dieses Jahr aber hatte Lord Scoville eine Glückssträhne beschert, sodass Sophys zunehmend zornige Forderungen, ihren Geschwistern den ihnen zustehenden Unterhalt zukommen zu lassen, sowie ein Anflug von schlechtem Gewissen ihren Onkel bewogen hatten, ihr einen
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