Im Sturm der Gefuehle
gelehnt, blieb sie bebend stehen. Ihre Knie drohten nachzugeben, sodass sie schon befürchtete, es nicht bis zu ihrem Bett zu schaffen. In den fast eineinhalb Jahren, seit sie ihrem Mann deutlich gemacht hatte, dass sie sich von ihm nicht mehr anfassen lassen würde, hatte es schon einige Konfrontationen gegeben. Die heutige Begegnung aber war bei weitem die schlimmste gewesen. Sie musste einen Ausweg aus diesem schrecklichen Dilemma finden. Sie musste. Es ging ihr dabei nicht nur um sich selbst, sondern auch um Marcus und Phoebe, ihre jüngeren Geschwister.
Angst durchschoss sie wie ein Pfeil bei dem Gedanken an Marcus, der erst vierzehn war, und an die fast elfjährige Phoebe, die in der gleichgültigen Obhut Onkel Edwards heranwuchsen. Simon hatte rundweg abgelehnt, sie in Marlowe House aufzunehmen, nachdem ihre Mutter Jane vor zwei Jahren gestorben war. Ihr Vater, der Earl of Grayson, war schon vor Jahren einem Jagdunfall zum Opfer gefallen, drei Wochen nach Sophys vierzehntem Geburtstag. Sophy, die geglaubt hatte, der Tod ihres Vaters sei das schmerzlichste Ereignis, das sie jemals heimsuchen würde, hatte erfahren müssen, dass noch andere, mindestens ebenso schmerzliche folgen sollten - der Tod ihrer Mutter und ihre Heirat.
Nachdem sie die Pistole in Reichweite auf ihr Kopfkissen gelegt hatte, warf sie ihren Morgenmantel von sich, blies die Kerzen aus und schlüpfte wieder ins Bett. Ins Leere über sich starrend, fragte sie sich, wie sie das einer Verbannung gleichende Leben auf Marlowe House ertragen sollte, allein und ohne Freunde, ständig auf der Hut vor Simons Annäherungsversuchen. Neben ihren eigenen Problemen, die allein schon sehr belastend waren, ging ihr das Schicksal ihrer Geschwister nie aus dem Sinn. Vor ihr schien sich bis in alle Ewigkeit eine trübe Zukunft zu erstrecken. Als einzige Hoffnung bleibt mir die Aussicht, dass Simon sich zu Tode trinkt, dachte sie voller Bitterkeit.
Simons Gedanken an Sophy waren noch viel unfreundlicher, als er sich mehr torkelnd als gehend auf die Treppe zu bewegte. Verdammtes Frauenzimmer! Am liebsten würde ich ihr die Hände um die Kehle legen und zudrücken. Dann könnte ich mir eine andere Frau suchen.
Er hatte sich in eine ausweglose Lage manövriert, wenn er es recht bedachte. Sein schlechter Ruf hatte dazu geführt, dass viele Standesgenossen ihn scheelen Blickes ansahen und eine passende Partie ihm praktisch verwehrt war. Trotz seines Titels und seines Vermögens hätte keine Familie, die etwas auf sich hielt, ihn akzeptiert. Heiraten musste er aber, wenn er einen Erben wollte, und mit vierzig war es höchste Zeit gewesen, einen in die Welt zu setzen - verdammt wollte er sein, wenn er zuließ, dass irgendein Vetter zweiten Grades ihn beerbte! Als Edward ihm die Ehe mit seiner Nichte gegen die Begleichung seiner Spielschulden angeboten hatte, kannte Simons Dankbarkeit keine Grenzen.
Anfangs war Sophy ihm als personifizierte Vollkommenheit erschienen - jung, unschuldig und von vornehmer Herkunft, würde sie bei ihrer Eheschließung sogar über ein stattliches Vermögen verfügen. Dazu kam ihr Liebreiz, sie war eine typische >goldene Scoville<. Wie Onkel und Bruder war sie groß, schlank, blond und mit feinen Zügen ausgestattet. Und das Beste war, dass sie und ihre Mutter zurückgezogen auf ihrem Gut in Cornwall lebten und kaum etwas von dem hässlichen Tratsch mitbekommen hatten, der ihm auf Schritt und Tritt folgte.
Er furchte die Stirn. Nun ja, Jane, diese dumme Gans, hatte etwas gehört, ließ sich dann aber von Edward zum Glück doch überreden. Ihr Bruder hatte Jane überzeugt, dass Sophys Vermählung mit seinem lieben Freund, dem Marquis, eine blendende Partie darstellte. Jane würde ihre empfindliche Gesundheit nicht mit einer Saison in London belasten müssen, da ein passender Bewerber direkt vor der Tür stand und sich nichts sehnlicher wünschte, als ihre älteste Tochter zum Traualtar zu führen. Simon wusste, dass Janes schlechter Gesundheitszustand - sie war verstorben, ehe er und Sophy den ersten Hochzeitstag feiern konnten - ihren Entschluss, der Heirat zuzustimmen, sehr begünstigt hatte.
Ihm war unbegreiflich, wie etwas, das so verheißungsvoll ausgesehen hatte, so katastrophal enden konnte. Luder! Er würde es ihr zeigen. Noch hatte sie ihn nicht bezwungen.
In seine Überlegungen vertieft, bemerkte Simon die dunkle reglose Gestalt nicht, die ihn aus der Finsternis jenseits der Treppe beobachtete. Die Gestalt harrte dort schon
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