Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
gleichzeitig fühlte sie einen unbändigen Bewegungsdrang in sich. Am liebsten wollte sie weglaufen, weit fort von hier.
Sie stand auf und lief zu den Klippen, die in einiger Entfernung das Ufer in eine raue, unzugängliche Felslandschaft verwandelten. Dort zog sie den anderen Schuh aus, kletterte mit der Geschicklichkeit eines Jungen auf die höchste Felsspitze, suchte sich einen Platz auf einem kleinen Plateau und blieb dort sitzen. Sie blickte lange auf das Meer hinaus, dessen Wellen an die Klippen schlugen und einen feinen Sprühregen aus salzigem Meerwasser emporschleuderten, der sich mit Charlottas Tränen, vermischte.
»Vasco«, flüsterte sie. »Vasco, mein Liebster, wo bist du nur?«
Wie von selbst glitten ihre Gedanken zurück zu dem schönsten Tag ihres Lebens. Es war vor zwei Jahren, als die große Liebe zwischen Vasco da Gama und Charlotta ihren wundervollen Anfang genommen hatte.
Ein Ball im Castello de Sao Jorge, dem Palast des Königs hatte stattgefunden. Doña Charlotta hatte viel getanzt an diesem Abend, die Verehrer umschwirrten sie wie Bienen eine duftende Blüte. Sie trug ein lindgrünes Kleid, das bis zur Taille eng am Körper anlag und ihre festen, runden Brüste betonte, dann aber in weichem Fall bis zum Boden reichte. Die wilden roten Locken waren nur mit einem Band aus Perlen gebändigt und umspielten ihre weißen Schultern wie ein Funkenmantel. Ein neuer, besonders stürmischer Tanz, Le Branle du Chandelier genannt, war erst vor kurzem vom französischen Hof nach Portugal gelangt und hier dem südländischen Temperament angepasst worden.
Bei diesem Tanzspiel bekam jeder Partner eine brennende Kerze in die Hand, während alle anderen Lichter im Saal gelöscht wurden. Zuerst hielt der Mann die Kerze in der rechten Hand. Es war ein junger Adliger, ein Beamter des Hofes, der Charlotta gegenüberstand. Sie selbst hielt die Kerze in der linken Hand, ohne zu bemerken, dass der Schein des Lichts ihre Haare verführerisch auflodern ließ.
Die Musik begann zu spielen, wechselte den Rhythmus, und mit einer gewagten Drehung und einem selbstvergessenem Lächeln wechselte Charlotta zum nächsten Tanzpartner. Dabei drehte sie sich im Kreis herum und gehorchte allein den Gesetzen ihres biegsamen Körpers. Die bewundernden Blicke und das Entzücken der Umstehenden blieben ihr völlig verborgen. Die Kerzenflamme flackerte unruhig, doch sie brannte zum Glück weiter, und Charlotta musste zum nächsten Partner wechseln. Denn das Ziel der Drehung war es, die Kerze vor dem Verlöschen zu schützen, um nicht ausscheiden zu müssen.
Doña Charlotta liebte diesen Tanz, wechselte lächelnd von einem Arm in den anderen. Sie bog ihren Leib im Rhythmus der Musik, passte sich jedem neuen Ton an, bewegte die Arme mit vollendeter Anmut und gab sich ganz den Klängen hin. Sie war Eins mit sich und der Welt, gefangen in der Welt der Musik und durch nichts in ihrer Hingabe zu stören. Wieder wechselte sie zum nächsten Partner, doch plötzlich geriet sie aus dem Takt, so dass ihr Tänzer sie am Arm halten musste, um sie nicht stürzen zu lassen. Sein Blick fing den ihren, hielt ihn fest – und Charlotta hatte das Gefühl, der Mann könne bis auf den Grund ihrer Seele schauen. Sie hatte ihn noch nie zuvor am Hof gesehen und doch kam er ihr seltsam vertraut vor. Heiß und kalt zugleich wurde ihr unter diesem Blick, unbekannte Gefühle stürzten sie in Verwirrung. Sie errötete, wollte den hellgrauen Augen ausweichen, doch vergebens. Wie in einen Bann gezogen sah sie ihn an, unfähig sich zu bewegen.
»Ihr solltet weitertanzen«, sagte der Fremde mit kehliger, warmer Stimme, »sonst haltet Ihr am Ende alle anderen auf.«
Ein amüsiertes und zugleich liebevolles Lächeln umspielte seine Mundwinkel und vergrößerte Charlottas Verwirrung nur noch. Mit weichen Knien nahm sie die Tanzschritte wieder auf. Doch nun drehte und bewegte sie sich wie eine Marionette, die an Fäden hing. Nur der Fremde hielt sie fest, führte sie und dirigierte sie, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan.
Doch dann war der Tanz zu Ende, und die an den Wänden stehenden Gäste applaudierten.
Außer Atem, mit erhitzten Wangen und bebenden Brüsten eilte Charlotta nach dem Kerzentanz ins Freie, um auf einer Bank im königlichen Garten etwas frische Luft zu schöpfen und ihrer Verwirrung Herr zu werden. Ihr ganzer Körper glühte, als hätte sie gerade auf dem Feuer getanzt; ihre Augen strahlten, und Charlotta ließ sich erschöpft auf
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