Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
seine junge, schöne unschuldige Tochter in die Hände Dom Pedros de Corvilhas zu geben, widerstrebte ihm mehr als alles andere auf der Welt. Doch da war sein Versprechen. Dom Ernesto kannte Corvilhas gut genug, um zu wissen, dass er auf der vor Jahren geschlossenen Vereinbarung bestehen würde, sobald Vasco da Gama für tot erklärt wurde. Gab er nicht nach, so verlor er nicht nur seine Ehre, sondern verwirkte auch Charlottas Zukunft. Alle seine Ämter und Titel würde er verlieren und auch das Recht verwirken, weiter in der Stadt leben zu dürfen. Pedro de Corvilhas wusste ganz genau, wie viel dem Siebenten Grafen von Alvarez das Familienerbe bedeutete. Dom Ernesto war als der älteste Sohn Erbe eines alten Titels und riesiger Ländereien und als hoher Angehöriger des portugiesischen Königshofes dazu erzogen wurden, den Stolz, den Besitz und die Ehre seiner Familie bis zu seinem Todestag zu wahren. Wenn es ihm gelang! Sonst müsste er mit Charlotta auf seine Güter ins Landesinnere ziehen und dort das Leben eines Gutsbesitzers führen. Dom Ernesto hatte keine Angst vor einem Mangel an Luxus, doch die verlorene Ehre, der beschmutzte Name wären durch nichts wieder gutzumachen.
Niemand, auch nicht Vasco da Gama, würde bereit sein, die Tochter eines Ehrlosen zu heiraten.
Immer und immer wieder hatte Dom Alvarez in den letzen Stunden überlegt, ob es eine Möglichkeit gab, Charlottas Unglück zu verhindern. Doch ihm war nichts eingefallen. Rein gar nichts. Und wenn nicht ein Wunder geschah, so würde alles so kommen, wie Dom Pedro es geplant hatte: Er musste ihm Charlotta geben oder die ganze Familie ins Unglück stürzen. Dom Pedro kannte keine Gnade.
»Ich bete jeden Tag, dass er kommt«, erwiderte der alte Mann schließlich und strich seiner Tochter behutsam über die knisternden roten Locken. »Beten ist das Einzige, was wir tun können«, fügte er hinzu, dann drehte er sich um und verließ mit schleppenden Schritten das Gemach.
Kapitel 3
D ie Sonne brannte schon kräftig, obwohl es noch früher Morgen war. Charlotta öffnete die hölzernen Läden vor den mit Blei verglasten Fenstern ihres Gemaches, stieß sie weit auf und reckte sich der Morgenluft entgegen.
Ihr erster Blick fiel auf das Meer. Still und blaugrün zog es sich bis zum Horizont dahin. Nur zwei Fischerboote waren zu sehen, sonst nichts. Unergründlich und unendlich lag der Atlantik vor ihren Augen, entschlossen, all seine Geheimnisse zu hüten und zu bewahren. Charlotta seufzte und warf mit Schwung ihre hüftlangen roten Haare, die sich kaum bändigen ließen, über die Schulter zurück. Ihre meergrünen Augen verdunkelten sich einen Augenblick, doch dann verzog sich ihr voller Mund zu einem tapferen Lächeln. »Bald wird er kommen«, murmelte sie vor sich hin. »Vielleicht schon morgen werden die Karavellen Vasco da Gamas am Horizont zu sehen sein.«
Genau zwanzig Monate waren heute, auf den Tag genau, seit seiner Abreise aus dem Hafen Rastello vergangen. Und bisher war noch keine Nachricht über das Schicksal der Entdeckungsreisenden nach Lissabon gelangt. Doch das war nicht weiter verwunderlich. Viele Monate war die kleine Flotte mutterseelenallein in den unendlichen Weiten des Atlantiks unterwegs gewesen, abgeschnitten vom Land, abgeschnitten auch von Neuigkeiten aus der Heimat. Und genauso wenig erreichten Lissabon Nachrichten vom Verbleib der Schiffe. Nur der Bericht eines arabischen Seefahrers, der erzählt hatte, die Sao Rafael sei kurz nach der Jahreswende an der afrikanischen Küste in Höhe der geheimnisvollen Stadt Mombasa auf Grund gelaufen und verbrannt, ließen in Charlottas Herzen Kummer und tiefe Ängste aufziehen. Doch die Sao Rafael wurde von Paulo da Gama geführt, Vasco hingegen war der Kapitän der Sao Gabriel, von der es keine unglücklichen Nachrichten gab.
»Er kann jeden Augenblick kommen«, tröstete sie sich halbherzig. »Stunden sind es noch, bis er für tot erklärt und die Schiffe verloren gegeben werden. Doch in wenigen Stunden kann viel geschehen. Hat Gott nicht die ganze Welt in nur sieben Tagen erschaffen?«
Ihre Gedanken wurden durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Juana, ihre Zofe, kam herein, um ihr bei der Morgentoilette behilflich zu sein. Jeden Morgen füllte Juana ihrer Herrin zunächst einen Zuber mit heißem Wasser und gab reichlich Rosenöl hinzu. Anschließend half sie ihr beim Ankleiden und bürstete vorsichtig die wilden, roten Locken Charlottas. Doch Juana war mehr als nur ihre Zofe.
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