Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
Sie hatte bereits Charlottas Mutter gedient, der viel zu früh verstorbenen Doña Carmelita de Alvarez. Seit ihrem Tod, den Charlotta im zarten Alter von gerade einmal fünf Jahren erlebt hatte, kümmerte sich Juana nicht nur um Charlottas Äußeres, sondern war ihr obendrein mütterliche Freundin, Vertraute und Ratgeberin in allen Lebenslagen.
Juana kannte die Träume und Wünsche, die Sehnsüchte und Hoffnungen Charlottas und liebte die junge Frau wie ihre eigene Tochter. Deshalb konnte sie auch nicht verbergen, dass sie heute etwas bedrückte.
»Juana, was ist los? Du schaust so bekümmert, als hätte dir jemand alle deine Zimtplätzchen weggenascht«, fragte Charlotta und wirbelte durch das Zimmer, ihre eigenen Ängste, Befürchtungen und Zweifel verdrängend.
Juana musste bei der Anspielung auf ihre Naschsucht ein wenig lächeln, doch dann seufzte sie und erwiderte: »Euer Vater will Euch sprechen. Er wartet in der Halle auf Euch.«
»Warum so förmlich?«, fragte Charlotta verwundert und legte ihr Nachtgewand ab, um in den Zuber zu steigen. »Er kommt doch sonst immer in mein Gemach, wenn er etwas mit mir besprechen will.«
Wieder seufzte Juana. Mit Bewunderung betrachtete sie den schönen, jungen Körper Charlottas, der in den letzten Jahren seine knabenhafte Gestalt verloren hatte und nun an allen Stellen genau die richtigen Rundungen aufwies. Ein Körper, der wie geschaffen war für die Liebe. Ein Körper aber auch, den noch kein Mann so erblickt hatte, wie Gott ihn geschaffen hatte. Das zumindest vermutete Juana. »Geht zu ihm, sobald Ihr fertig seid. Er wird es Euch sagen«, erwiderte sie und strich behutsam über die zarten Schultern der jungen Frau.
Als Charlotta ihre Morgentoilette beendet hatte und nach Rosenöl duftend in die Halle des wundervollen Palazzos kam, wartete ihr Vater schon auf sie.
»Setz dich, mein Kind«, forderte der königliche Admiral seine Tochter auf. Seine Stimme klang warm und liebevoll wie immer. Charlotta ähnelte seiner verstorbenen Frau bis aufs Haar, hatte die gleiche hohe, schlanke Gestalt, die gleiche anmutige Haltung. Und auch in Charlotta sprudelte heißes südländisches Blut, gepaart mit unbändigem Stolz und manchmal überschäumendem Temperament. Dom Alvarez wusste schon jetzt, dass dieser Vormittag nicht in Ruhe und Frieden vergehen würde, doch er konnte nichts daran ändern. So gern er es auch wollte.
»Du wirst heiraten, Charlotta«, begann er und sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen.
Charlotta zuckte mit den Schultern und sah ihren Vater ohne Argwohn an. »Natürlich werde ich heiraten«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das Dom Alvarez beinahe das Herz zerriss. »Sobald Vasco da Gama von seiner Entdeckungsreise zurückgekehrt ist, werden wir vor den Altar treten.«
»Nein, Charlotta. So wird es nicht sein«, antwortete Dom Alvarez. »Vasco da Gama wird nicht mehr zurückkehren. Er ist verschollen in den unendlichen Tiefen des Ozeans. Du selbst warst dabei, als der arabische Seefahrer die Nachricht vom Untergang der Sao Rafael überbrachte.«
Charlotta schüttelte den Kopf. Sie hatte die Unterlippe trotzig nach vorn geschoben. »Nein! Er ist nicht tot, Vasco lebt. Ich weiß es, ich fühle es. Bald schon wird er kommen!« Charlotta stieß diese Sätze mit zitternder Stimme hervor. Ihre Hände hatten sich um die Stuhllehnen gekrallt, ihr Busen bebte und eine zarte Röte legte sich auf ihr Gesicht. Tränen glitzerten in ihren Augen und verrieten, dass auch in ihrem Herzen die ersten Zweifel über die glückliche Heimkehr ihres Verlobten aufgetaucht waren. Ihre Miene war so leidvoll, dass Dom Alvarez sich gequält abwandte.
»Es hat keinen Sinn, Charlotta, noch länger auf Vasco zu warten. Er ist tot und heute um Glockenschlag Mitternacht wird in der Kirche Santo Domenico eine Seelenmesse für ihn gelesen und Vasco da Gama für tot erklärt. Nun wird es Zeit für dich, nach vorne zu blicken. Du bist jetzt siebzehn Jahre alt. Im besten Altern, um zu heiraten und Kinder zu bekommen. Ich bin alt und müde und wünsche mir einen Erben, der fortführt, was meine Väter und ich geschaffen haben.«
Dom Alvarez war neben Charlotta getreten und hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Er konnte das Beben ihres Körpers spüren, ihre Verzweiflung, die noch immer mit Hoffnung gepaart war. Und er sah auch die Tränen, die Charlotta über die Wangen rannen und ihr Kleid mit dunklen Flecken überzogen. Sie presste ihre Hände in den Schoß, und ihre
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