Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
Wanderpredigern, die sich geißeln und die Sünden der Welt auf sich nehmen, um eine eigene Schuld abzutragen. Dutzendweise streichen sie durchs Land. Verwirrte Geister, die glauben, sich mit dem eigenen Blut von ihren Sünden reinwaschen zu können.«
Doch obwohl sie schon oft Flagellanten gesehen und ihre Worte gehört hatte, war es doch heute anders. Charlotta schien sogar, als hätte der Wanderprediger direkt in ihr Herz, in ihre tiefste Seele geblickt. Hatte er nicht Recht? War sie nicht dabei, den Liebsten zu verraten? Nur wenige Stunden noch, dann würde sie die Verlobte Dom Pedros sein. Hatte das Schicksal diesen fremden Mann und seine wunderliche Begleiterin ausgerechnet heute zum Palazzo de Alvarez geschickt, um ihr ein Zeichen zu geben?
Charlotta wandte sich vom Fenster ab. »Unfug«, sagte sie laut und schlug die Fenster zu. »Gott ist barmherzig und gerecht. Er weiß, dass ich Vasco nicht verrate. Niemals.«
Sie war froh, als es klopfte, Juana herein kam und die beiden unterbrach.
»Ihr müsst Euch fertig machen«, sagte die Zofe und Charlotta nickte. In gut zwei Stunden begann das Fest. Bis dahin war noch einiges zu erledigen. Doch so beschäftigt sie auch war, die Warnung des Fremden ging ihr nicht aus dem Kopf: Unheil, das Ende der Welt, Blut und Krieg, Schrecken und Verderbnis.
Im Garten direkt vor der Halle war unter einem Dach aus hellem Segeltuch eine lange Tafel aufgebaut worden, an der sich zahlreiche Gäste niederließen. Feinstes Damasttuch reichte bis zum Boden.
Einzelne Sonnenstrahlen hatten sich neugierig unter das Segel gewagt und überzogen die silbernen Pokale und Leuchter mit einem goldenen Schein. Von dort kletterten sie keck in die Ausschnitte der Damen und spielten mit den Diamanten, ließen sie blitzen und in allen Regenbogenfarben schillern. Ein paar Musikanten spielten süße Romanzen, Dienstboten eilten mit silbernen Platten voller Köstlichkeiten hin und her. Noch immer war es sehr heiß, doch war ein Wind aufgekommen, der das Segeltuch leise bewegte und ihm raschelnde Geräusche entlockte. Der Himmel verteidigte sein strahlendes Blau, doch die ersten Quellwolken schoben sich davor, ohne jedoch die Kraft zu haben, die Sonne zu verdunkeln. In den Duft der zahlreichen Blüten und der mit Nelken gespickten Orangen hatte sich nun das Aroma von gebratenem Fleisch, süßen Kuchen und fetten Soßen gemischt und ließ den Anwesenden das Wasser im Munde zusammenlaufen. Doch noch war es nicht soweit, noch stand das Wichtigste erst bevor.
Doña Charlotta saß zwischen ihrem Vater Dom Ernesto und ihrem Bräutigam Dom Pedro am Kopf der Tafel. Nein, sie saß nicht einfach, sie thronte dort. Charlotta hatte darauf verzichtet, ein wenig von der rot gefärbten Paste aufzutragen, die den Wangen ein frisches Aussehen verlieh. Blass, aber in kerzengerader Haltung, ohne Schmuck und Schminke betrachtete sie den mit Blumen geschmückten Garten wie einen Zauber aus einer anderen Welt, der mit ihr nicht das Geringste zu tun hatte. Über den Unterkleidern trug sie eine Briale, ein luxuriöses Gewand mit anliegenden Ärmeln, das in der Taille nur von einem Gürtel gehalten wurde. Die Briale war schwarz. Schwarz und ernst wie der Tod. Und ebenso ernst und unbewegt, von einer beinahe festlichen Wehmut, war Charlottas Mienenspiel.
Dom Pedro dagegen sah aus wie das blühende Leben. Er trug eine Giubbone, einen eleganten, faltenreichen Überwurf mit trichterförmigen Ärmeln, der mit Goldfäden durchzogen und ornamental bestickt war. Die Giubbone war aus feinstem goldenem Frisèbrokat und passte hervorragend zu seinen weichen Stiefeln aus heiß gepresstem Cordobaleder, die ebenfalls zu einem Teil vergoldet waren. Alles an Dom Pedro glänzte, nur in seinen Augen herrschte weder Glanz noch Freude.
»Ist die Tochter des höchsten königlichen Admirals so arm, dass sie sich kein neues Kleid zu ihrer Verlobung leisten kann?«, hatte er zwischen den Zähnen hervorgepresst, als er Charlotta begrüßte und sah, dass sie dasselbe Kleid wie am Tage nach der Totenmesse für Vasco da Gama trug. Der Blick, mit dem er sie dabei bedachte, war kalt und abschätzig, doch gleich darauf wandte er sich mit einem strahlenden Lächeln um und begrüßte die gerade ankommenden Gäste.
»Lächle! Du sollst lächeln, sage ich«, raunte er ihr zu und nahm sie hart beim Arm. Und Charlotta tat, wie er es ihr geheißen hat, doch ihr Lächeln war gequält.
Schweigend und beinahe reglos hatte Doña Charlotta die vielen
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