Im Sturm der Leidenschaft (German Edition)
Liebe das höchste Gut war. Die Liebe, für die sie einzig lebte, die erfüllender war und reicher machte als alles Gold und alle Diamanten dieser Welt. In den vielen Monaten seit Vascos Abreise hatte Charlotta erfahren, was der Ausdruck »sich vor Sehnsucht verzehren« bedeutete. Seit diesem 8. Juli vor beinahe zwei Jahren hatte sich ihr Leben verändert, war grauer geworden. Selbst die Sonne hatte an Glanz verloren, der Vogelgesang war weniger lieblich und auch der Alltag war weniger farbig und heiter. Das Unwetter erschien ihr wie ein göttliches Zeichen, weil es genau am Tage ihrer Verlobung hereinbrach. Ja, Gott hatte ihre vielen Gebete erhört. Wenn sie auch noch Geduld haben musste, so wusste sie doch nun, dass ihr Warten nicht vergebens gewesen war.
Immer schneller wirbelte sie herum, die Falten ihres Kleides folgten jeder Bewegung ihres Körpers. Im selben Augenblick zerriss der Himmel und schleuderte einen Blitz zu Boden, tauchte die Szenerie in kaltes, gespenstisches Licht, umzuckte die tanzende Gestalt, die sich im Gesang des Sturmes wiegte. Sprachlos standen die Gäste da, sprachlos verfolgten sie das seltsame Spiel, für das es keine Erklärung gab, außer: Charlotta war verrückt geworden und das Ende der Welt war da. Nicht erst zum Ende des Jahres würde die Erde in Scherben fallen, nein, jetzt, heute, in diesem Augenblick fand der Weltuntergang statt.
Doch Charlotta war alles andere als verrückt. Selten war ihr Geist klarer gewesen. Mochte ihr Vater sie auch gezwungen haben, sich mit Dom Pedro zu verloben, dieser Tanz sollte allen beweisen, dass niemand ihren Willen brechen konnte, was immer auch geschah. Trotzig und selbstvergessen tanzte sie im Regen, wild und ungestüm wie das Unwetter selbst, durch nichts zu bändigen und zu bezwingen.
»Charlotta, komm herein«, rief Dom Alvarez, doch das Unwetter verschluckte jedes Wort, verschluckte auch das Weinen der Frauen und das Stöhnen der Männer.
Längst waren Charlottas Kleider klatschnass, Regenwasser rann über ihr Gesicht, das Haar troff vor Nässe.
Ein leises Grummeln erklang, wurde immer lauter und entlud sich schließlich in einem gewaltigen Donner, der die Menschen zusammenzucken ließ. Im selben Moment öffnete Charlotta, das Gesicht noch immer dem Himmel zugewandt, den Mund zu einem Schrei. Niemand hörte, was sie schrie, alles ging unter im dröhnenden Gewitterdonner. Nur einer hatte von ihren Lippen das Wort abgelesen, das sie rief: Vasco.
Und dieser eine war es auch, der mutig genug war, hinaus in den Untergang der Welt zu laufen, Charlotta zu packen und sie in die Halle des Palazzos zu tragen. Es war Jorges, der Fischerjunge, der gekommen war, um Charlotta zu ihrem Festtag eine seltene Muschel zu schenken, die er am Strand gefunden hatte.
Kapitel 5
S o rasch, wie das Unwetter gekommen war, so rasch war es vorüber. Auch die Angst war verschwunden, lauerte nur noch als unbestimmtes, dumpfes Gefühl im hintersten Winkel der Herzen. Langsam erholten sich die Gäste von ihrem Schrecken und drängten zur Tür der Halle, um den Schaden im Garten zu begutachten.
Die Tafel lag zerbrochen da, der Boden war von Scherben übersät, das Damasttuch hing zerrissen in einem Baum. Die Orangenbäume standen beinahe blatt- und fruchtlos im Garten, die Palmen waren zerrupft wie Krähen nach einem Kampf, die Käfige mit den Tauben langen am Boden, die Tiere, die die Botschaft von der Verlobung in die Welt tragen sollten, waren allesamt tot.
Doch ebenso wie die Menschen erholte sich auch die Natur. Erste zaghafte Sonnenstrahlen brachen hervor, ließen die Tropfen im Gras und an den Gewächsen wie Diamanten blitzen. Die Vögel sangen, froh, dem Untergang noch einmal entkommen zu sein, mit vollen Stimmen. In den Gassen war wieder Lärm zu hören; ein jeder in der Stadt besichtigte vorsichtig den Schaden des Sturmes. In der Halle war ein Kommen und Gehen. Die Bediensteten eilten, um das Verlobungsmahl nun in der Halle zu reichen. Platten wurden hereingetragen, Karaffen mit Wein gefüllt, die Leuchter entzündet.
Erst eine Stunde war seit dem Unwetter vergangen, da saßen die Gäste bereits alle wieder an der Festtafel, als hätte es keine Störung der Feier gegeben.
Wieder saß Charlotta neben Dom Pedro am Fuße der Tafel, als hätte es niemals einen Tanz im Gewitter gegeben. Sie trug nun ein weißes Kleid mit herzförmigem Ausschnitt, wie es die neueste Mode vorschrieb. Ihr widerspenstiges Haar wurde von einem Perlenband gezähmt, ihre Wangen
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