Im Sturm erobert
»Schuldig? Warum denn nur?«
»Ich habe mir eingeredet, es wäre meine Schuld, daß ich ihn nicht dazu bringen konnte, die Frau zu vergessen, die er in seinem Herzen bewahrte. Ich gab mir die Schuld daran, weil ich nicht fähig war, ihn von seiner hoffnungslosen Besessenheit zu retten und ihn zu lehren, wieder zu lieben. Aber tief in meinem Inneren haßte ich ihn, glaube ich, dafür, daß er mich getäuscht hatte.«
Arabella sah schockiert aus. »Du hast ihn gehaßt?«
»Mein Gefühle waren so verworren, daß ich nicht mehr genau wußte, was ich fühlte. Ich weiß nur, daß ich an dem Tag, an dem ich die Nachricht von seinem Tod bekam, schockiert war, aber nicht sonderlich traurig.«
»Wie furchtbar für dich.«
»Seltsamerweise ist es längst nicht mehr so furchtbar, wie es einst war.« Beatrice lächelte. »Vielleicht kann ich deshalb jetzt mit dir darüber reden.«
Es stimmte, dachte sie. Sie spürte ein eigenartiges Gefühl von Ruhe, als sie die Wahrheit laut aussprach. All die Jahre, dachte sie erstaunt. All die Jahre hab ich mir eingeredet, daß das, was ich für Justin empfand, Mitleid gewesen war. Ich hab mir eingeredet, man könnte ihm nicht die Schuld geben an der Tragödie, zu sehr geliebt zu haben. Was für ein Quatsch.
»Die Wahrheit ist, der Dreckskerl hat mich angelogen«, fuhr Beatrice fort, und mit jedem Wort fühlte sie sich besser. »Er hat mich betrogen, und er hat auch sich selbst betrogen.«
»Ja, ganz gewiß hat er dich betrogen«, verkündete Arabella mit rührender Loyalität. »Er hat dich nicht verdient.« »Danke.« Beatrice lächelte. »Aber du solltest dir jetzt keine Sorgen um mich machen. Das ist alles vor langer Zeit passiert. Mein Herz ist vollkommen geheilt.«
»Es ist erstaunlich.« Arabella sah nachdenklich aus. »Du bist die große romantische Legende in der Familie geworden. Wir dachten alle, du hättest geschworen, nie wieder zu heiraten, weil du es nicht fertigbringen konntest, Justin aus deinem Herzen zu verbannen.«
»Ich hab geschworen, nie wieder zu heiraten, weil ich Angst hatte, den furchtbaren Fehler zu wiederholen, den ich in meiner ersten Ehe gemacht hatte«, erklärte Beatrice trocken.
»Du warst immer so selbstsicher.«
»Ja, wenn es um die Liebe geht, fürchte ich, bin ich nicht ganz so selbstsicher wie in anderen Dingen.«
»Wie in deinen Romanen«, sagte Arabella leise.
Beatrice zog die Augenbrauen hoch. »Deine Beobachtungsgabe ist gut.«
»Oh, Beatrice, es tut mir ja so leid, daß du nie wahre Liebe erlebthast.«
Beatrice stellte erschrocken fest, daß Arabella sehr traurig aussah. Sie stand auf, ging um ihren Schreibtisch herum und umarmte ihre Cousine.
»Ist schon in Ordnung, meine Liebe. Ich habe ganz gut ohne sie gelebt.«
»Aber -« »Still.« Sie tätschelte Arabellas Schulter. »Ich hab dir meine Geschichte nicht erzählt, damit du an Pearson zweifelst. Er ist ganz anders als Justin. Um ehrlich zu sein, ich glaube, er empfindet sehr viel für dich.«
»Glaubt du das wirklich?«
Beatrice dachte daran, wie Pearson Arabella ansah, wenn sie es nicht merkte. »Ja, das tu ich.«
Arabella entspannte sich sichtlich. »Gott sei Dank.«
Beatrice holte tief Luft. »Meine Liebe, du mußt auf mich hören. Es besteht kein Zweifel daran, daß Pearson dich liebt. Aber ob seine Eltern ihm gestatten werden, um deine Hand anzuhalten, ist eine ganz andere Geschichte. Du mußt dich auf jede Eventualität gefaßt machen.«
»Pearson ist ein pflichtbewußter Sohn«, sagte Arabella. »Natürlich möchte er, daß seine Eltern mit seiner Wahl einer Braut einverstanden sind. Aber er ist ein Mann und wird am Ende seine eigene Entscheidung fällen, gleichgültig, ob seine Eltern seine Wahl gutheißen oder nicht.«
Liebe war eben das beste Mittel, um einen zum Optimisten zu machen, dachte Beatrice. Sie umarmte Arabella noch einmal. »Ich hoffe, du hast recht. Vielleicht sind deine Instinkte in solchen Dingen besser als meine.«
Sie hatte nicht vorgehabt, den ganzen Weg zur Deeping Lane zu Fuß zu gehen, sagte sich Beatrice eine Stunde später, als sie mit Elf am Rand eines kleinen Parks stand. Aber sobald ihr die Idee gekommen war, Graham Saltmarshs Wohnung auszuspionieren, war es ihr nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Ihr war eingefallen, daß sie gehört hatte, wie er dem Verkäufer in Hook’s Buchladen seine Adresse gegeben hatte. Es war, als hätte das Schicksal seine Hand im Spiel. Es hatte ihr die perfekte Gelegenheit geliefert, einige nützliche
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