Im Sturm erobert
hob den Kopf von dem sorgfältig gefalteten Brief, den sie vor wenigen Augenblicken erhalten hatte. Trotz der Erregung, die der Inhalt der Botschaft ausgelöst hatte, lenkte sie der Anblick ihrer Cousine für einen Moment ab. Mit ihren strahlend blauen Augen, dem glänzenden schwarzen Haar und dem feinknochigen Gesicht war Arabella nach jedem Maßstab schön. Die Tatsache, daß sie auch eine gütige, äußerst charmante und ruhige junge Lady war, war die Glasur der Torte. Unter Winifreds Führung hatte Arabella ein bißchen, aber dafür um so intensiver in den bescheidenen Kreisen der Gesellschaft Aufsehen erregt. Pearson Burnby, Lord Hazelthorpes Erbe, war gezwungen gewesen, mit einer Reihe Gentlemen Schlange zu stehen, um sie um einen Tanz zu bitten. Beatrice’ Stadthaus war nicht direkt mit Einladungen überflutet worden, aber es war doch ein stattliches Rinnsal, das Winifred und Arabella angenehm beschäftigt hielt. Die beiden waren oft bis zum Morgengrauen unterwegs.
Beatrice warf einen Blick auf das Buch in Arabellas Hand. »Ja, der Buchbinder hat exzellente Arbeit geleistet. Weißt du, bei all dem, was in letzter Zeit passiert ist, hab ich Das Schloß der Schatten fast vergessen.«
»Ich verstehe nicht, wie du das vergessen konntest.« Die rosafarbenen Röcke von Arabellas neuem Musselinkleid flatterten um ihre Knöchel, als sie zum Schreibtisch ging. »Ich schwöre, das ist deine aufregendste Geschichte. Die Szene mit dem Geist in der Gruft hat mir die Gänsehaut über den Rücken gejagt.«
»Ausgezeichnet. Hoffen wir, daß alle anderen, die das Buch kaufen, dieselbe Reaktion erleben. Meine Leser scheinen einen unersättlichen Bedarf an Gänsehaut zu haben.«
»Deinen Helden werden sie vergöttern.« Arabella legte das Buch auf den Tisch. »Er ist so köstlich aufregend. Man glaubt fast, daß er am Ende doch noch der Bösewicht sein wird. Wie schaffst du es nur, dir so aufregende Gentlemen auszudenken?«
Beatrice warf einen Blick auf den Ledereinband von Das Schloß der Schatten. »Ich habe keine Ahnung. Es ist, als ob meine Helden ihren eigenen Kopf hätten. Sie bestehen darauf, schwierig zu sein.« Ähnlich wie Leo, dachte sie.
Arabella lachte. »Bitte, mach dir nicht die Mühe, sie zu ändern. Ich hab die lange Schlange vor dem Buchladen deines Verlegers an dem Tag gesehen, an dem Das Schloß der Schatten zum ersten Mal angeboten wurde. Deine Leser lieben deine Helden so, wie sie sind.«
Beatrice lächelte. »Schade, daß die Kritiker nicht dieser Meinung sind. Aber, wie Onkel Reggie immer sagte, ein Autor muß sich früh entscheiden, ob er für die Leser oder die Kritiker schreibt, weil es für gewöhnlich keine Möglichkeit gibt, beide zufriedenzustellen.«
»Armer Onkel Reggie. Es war immer so lustig mit ihm.«
»Er war auch meine Lieblingssorte Leser. Er liebte alles, was ich schrieb.«
Außerdem war er ihr treuester Verfechter gewesen, dachte
Beatrice. Er war immer bereit, bösartige Briefe an die Kritiker zu schreiben, die ihre Romane attackierten. Einmal hatte er zu ihr gesagt: »Sie haben es ihrer abgestumpften Fantasie zu verdanken, daß sie unfähig sind, deine aufregenden Bücher zu schätzen, meine Liebe. Beachte sie einfach nicht.«
Sie warf einen Blick auf das mit braunem Papier verschnürte Bündel, das ganz oben in einem Regal lag. Vertraute Wehmut durchzuckte sie. »Er fehlt mir wirklich.«
In diesem Paket war eine Abschrift des Manuskriptes, aus dem schließlich Das Schloß der Schatten geworden war. Sie hatte es ihrem Onkel vorab zum Lesen gegeben, obwohl der Titel noch nicht feststand, und hatte gehofft, Reggies Meinung zu dem zu hören, den sie vorläufig ausgesucht hatte. Er hatte ein Talent für gute Titel.
Wie es das Schicksal wollte, hatte Reggie das Manuskript ausgelesen und es ihr an dem Nachmittag des Tages, an dem er starb, zurückschicken lassen. Sie hatte das Manuskript und die Nachricht von seinem Tod gleichzeitig am nächsten Morgen erhalten.
Sie hatte das Bündel voller Trauer auf das Regal gelegt und den Rat ihres Verlegers, was den Titel anging, akzeptiert. Mr. Whittle liebte Titel, in denen das Wort Schloß auftauchte. Winifred eilte geschäftig durch die Tür herein. »Da bist du ja, Arabella. Ich hab dich überall gesucht. Es ist fast drei Uhr. Mr. Burnby wird jeden Moment seine Aufwartung machen. Du weißt, wie pünktlich er ist.«
Die kleine silberhaarige Winifred mit den strahlenden Augen hatte mehr Energie und Begeisterung mit ihren siebzig Jahren
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